Diana und der Regenbogen
24. Juli 2022
Während wir in meiner Küche auf den Kaffee warten, möchte ich sie mir genau ansehen. Gott, ist sie groß geworden, denke ich, sage es aber nicht laut, denn ich weiß noch, wie uncool ich solche Sprüche fand, wenn Freunde meiner Eltern mir gegenüber so was behaupteten. Ihre Fehler wiederholen will ich nicht. Iras Vater war ein Freund von mir, oft habe ich bei meinen Kiew-Besuchen bei ihm übernachtet. Inzwischen ist Ira 20, vor drei Monaten ist sie aus Kiew nach Italien geflohen. Ihre Mutter fand einen Job in Hannover und ist neulich dahin gezogen. Nun plant Ira, ihre Mutter dort zu besuchen, und eine Woche später geht’s weiter nach Kiew.
Ja, sie hat sich verändert, vor mir sitzt eine Erwachsene! Auf ihrem Unterarm ist der ukrainische Dreizack tätowiert, merke ich – und muss sofort an den Artikel über eine Tattoomeisterin aus dem von den russen okkupierten Kherson denken. In letzter Zeit kommen zu ihr Kunden, die über ihre Tattoos mit ukrainischen Nationalmotiven etwas Neues tätowieren lassen wollen. Sonst gäbe es bei den Kontrollpunkten garantiert Ärger. Dort müssen sich die Ausreisenden ausziehen und es wird genau nach solchen Tattoos gesucht, um dann festzustellen, ob sie ukrainische Nazis seien. Ira hat den Artikel auch gelesen.
Wir folgen der jungen Dame mit der ukrainischen Flagge auf dem Kopf
Kaum sind wir mit dem Kaffee fertig, machen wir uns auf den Weg zur CSD-Parade. Dieses Jahr fährt zum ersten Mal ein ukrainischer Lautsprecherwagen mit, das müssen wir sehen. Aber wie finden wir zwischen dem Spittelmarkt und dem Nollendorfplatz die anderen Ukrainer in dem gigantischen Regenbogen-Zug? Ich hätte natürlich früher Diana Berg fragen sollen, denn ich weiß, sie macht heute bei der Organisation mit. Diana habe ich 2017 in Mariupol kennengelernt, wo sie den alternativsten Veranstaltungsort der Stadt leitete. Platforma Tu war gleichzeitig ein Club, ein Art-Space und eine Begegnungsstätte.
Im U-Bahn-Zug sehen wir in der Menge bunt gekleideter Berliner*innen eine junge Dame mit der ukrainischen Flagge auf dem Kopf. Die Entscheidung, ihr zu folgen, erweist sich als richtig – in zehn Minuten finden wir den ukrainischen Truck. Die aus den Boxen dröhnende Musik ist ukrainisch und auch die Plakate bei den rund um den Truck tanzenden Menschen sind anders: „Russia is a terrorist state“, „Free Ukraine“, „War Kills My Love“ oder Zeilen aus den Gedichten des ukrainischen Nationaldichters Taras Schewtschenko, die überraschend gut zu den anderen Slogans passen.
Mit Straßendemos kennt sich Diana aus
Schnell finden wir Diana, sie ist ganz vorne und ist damit beschäftigt, die Bewegung des ukrainischen Schwarms zu regeln. Bei Straßendemos ist sie in ihrem Element, sie hat schon Hunderte davon organisiert, zuerst zu Hause in Donetsk, das sie 2014 verlassen musste, dann in Mariupol. Wir umarmen uns kurz, Diana fragt, ob wir die ukrainische Fahne mitgebracht haben. Als ich mit Nein antworte, holt sie eine aus ihrer Tasche und gibt sie uns. Wir laufen eine Weile mit ihr zusammen, rechts und links von uns die Flaggen von Platforma Tu und Azovstal. „Kämpfe für deine Identität und für deine Rechte!“, skandieren wir mit den anderen Ukrainern. Und auch „Stand with Ukraine!“.
Ein Lautsprecher des Trucks, der direkt vor uns fährt, ist auf uns gerichtet und unsere Slogans vermischen sich mit der lauten Musik so wie die ukrainische Crowd mit den anderen. „Ukrainian tradition is freedom!“, schreien wir – es hört sich an wie ein zusätzlicher Refrain zu „I Feel Love“ von Donna Summer, und „Putler Kaputt“ passt gut zu „I Will Survive“. I will survive. WE will survive. Die Ukraine wird wieder frei sein. Und der Christopher Street Day findet eines Tages wieder in Mariupol statt!