Das Ross und sein Reiter: Denkmalswesen
Pferde im öffentlichen Raum sind sprechende Wesen. Aber Sie erzählen nicht von sich selbst, sondern von dem höheren Wesen, das obenauf sitzt. Sie tragen den Mythos eines Herrschenden. Hat man je eine Frau hoch zu Ross auf einem Denkmal gesehen?
In Reims thront Jeanne d’Arc hoch zu Ross, und ein Künstler in Bayern hat sich 2021 den Spaß gemacht und Angela Merkel als Reiterstandbild mit dem 3D-Drucker geschaffen. Das Genre aber bleibt eine männliche Machtdomäne.
Der römische Kaiser Mark Aurel auf dem Kapitol gilt als Urviech der Gattung. Wer ein Pferd hat, dem gehört die Krone oder ein Heer. Weshalb Shakespeares Richard III. verzweifelt ruft, als er seine endgültige Niederlage kommen sieht: „A horse! A horse! My kingdom for a horse!“ Man hat schon Pferde vor der Apotheke kotzen sehen, aber hier kommt jede Hilfe zu spät.
Zu den berühmtesten Exemplaren zählt die Skulptur des Bildhauers Andrea del Verrocchio bei der Kirche SS. Giovanni e Paolo in Venedig. Dargestellt ist der Söldnerführer Bartolomeo Colleoni. Er hatte die Aufstellung seines Denkmals mit dem prächtigen Tier testamentarisch verfügt und Venedig sein Vermögen vermacht. Er wollte sich im Stadtbild verewigt sehen, der apokalyptische Reiter.
Kaum ein König oder Kaiser hat darauf verzichtet, sich aufs Bronzepferd zu schwingen. Berlin könnte Ställe damit füllen. Das auffälligste Pferd-Reiter-Ensemble steht Unter den Linden: Friedrich II. mit Dreispitz, über dreizehn Meter hoch, mit Podest und Gefolge, das sich en miniature unter dem Monarchen schart. Plastisch sind Friedrichs Zeitgenossen dargestellt, zumeist Militärs. Schriftsteller und Philosoph finden sich auf der Rückseite, Lessing und Kant unter dem Pferdehintern.
Es muss nicht Bronze sein. Wladimir Putin als Reiter in den Bergen Sibiriens, mit nacktem Oberkörper und Sonnenbrille: Das Foto ging um die Welt. Man denkt jetzt an einen Satz des Dramatikers Heiner Müller: „Die Geschichte reitet auf toten Gäulen ins Ziel“.
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