Hamburger Bahnhof – auf in die Zukunft: Bund und Berlin verkünden geglückten Kauf des Kunststandorts
Es gibt im Moment nicht so viele Anlässe zum Feiern im politischen Geschehen. Deshalb wird dieser umso mehr zelebriert: sieben Personen sitzen auf dem Podium, um den Ankauf des Hamburger Bahnhofs und der Rieckhallen durch den Bund und das Land Berlin am gestrigen Dienstagnachmittag zu verkünden (der Tagesspiegel berichtete ausführlich). Direkt am Ort des Geschehens: in den Rieckhallen, Halle 4. Jetzt ganz frisch das Eigentum von Berlin.
Kulturstaatsministerin Claudia Roth rühmt diesen Tag als einen „schönen strahlenden“, sagt mehrmals „culture matters“ und lobt die erfolgreiche Zusammenarbeit von Bund und Land, die notwendig war, um den Kunststandort Hamburger Bahnhof langfristig zu sichern. Als Ensemble – die einzig sinnvolle Lösung. Die Verträge zwischen der öffentlichen Hand und der Immobilienfirma sind aufgesetzt, gleich geht es zum Notar.
Gelungenes Beispiel für Kooperation zwischen Land und Bund
Der Bund kauft über die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) für 66 Millionen Euro den Hamburger Bahnhof vom Immobilienentwickler CA Immo. Das Land Berlin erwirbt für insgesamt etwas mehr als 100 Millionen Euro das Grundstück hinter dem Hamburger Bahnhof, auf dem die Rieckhallen stehen, samt der Immobilie selbst, jener Immobilie, die CA Immo drohte abzureißen. 78 Millionen muss das Land in Barmitteln aufbringen, der restliche Betrag läuft über einen Grundstückstausch: CA Immo bekommt ein Grundstück am Humboldthafen im Wert von circa 25 Millionen Euro.
Nein, der Bebauungsplan dort sei nicht Teil der Verhandlungen gewesen, sagt Kultursenator Klaus Lederer auf Nachfrage. Höchstens achtstöckig darf auf dem Grundstück gebaut werden. Auch Silvia Schmitten-Walgenbach, Vorstandsvorsitzende der CA Immo, ist in diesem feierlichen Moment anwesend. Sie wird stellvertretend für ihre Firma mehrmals als harte aber faire Verhandlerin gepriesen. Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz unter deren Dach auch der Hamburger Bahnhof als Teil der Nationalgalerie agiert, bezeichnet den Kauf als „Sternstunde der Kulturpolitik!“.
Auch die Nachbarschaft soll aufblühen
Berlinweit, bundesweit, weltweit soll das Kunst-Areal ab sofort ausstrahlen: der Kunststandort am Hamburger Bahnhof, jetzt endlich wieder in öffentlicher Hand nach vielen politischen Fehlentscheidungen, die in der „unübersichtlichen Nachwendezeit“, wie Berlins Bürgermeisterin Franziska Giffey sagt, ihren Anfang nahmen. Ebenfalls anwesend sind die Direktoren des Museums Hamburger Bahnhofs, Till Fellrath und Sam Bardaouil, die am Vormittag ihr Jahresprogramm 2023 für das Museum vorgestellt haben, samt Standortentwicklungsideen für die Nachbarschaft inklusive Europa City.
Ein paar weniger euphorische Worte verliert Berlins Finanzsenator Daniel Wesener, obwohl auch er das Ergebnis aus kulturpolitischer Sicht nicht in Frage stellt. Wesener bezeichnet den Deal als „nicht das beste Immobiliengeschäft, dass das Land Berlin jemals gemacht hat“. Dass es so teuer geworden ist, hat Berlin sich selbst zuzuschreiben. Erst wurden die Grundstücke in Besitz des Bundeseisenbahnvermögens in den neunziger Jahren verkauft, dann in Bauland umgewandelt. CA Immo kaufte 2007 Filegrundstücke en masse, die jetzt teuer zurückgekauft werden müssen.
Sternstunde der Kulturpolitik!
Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz
Es sollte eine Warnung sein, künftig besser mit Gemeinwohl umzugehen, sagt Wesener. Klaus Lederer warnt als Jurist davor, dass selbst bei der Verlesung der Verträge am Notarstisch noch einiges schief gehen kann; dass auch der Berliner Senat und der Vermögensausschuss noch zustimmen müssen. Eine formaler Akt hoffentlich nur.
Jahresplanung 2023 für den Hamburger Bahnhof
Die Zukunft gehört nun Sam Bardaouil und Till Fellrath. Sie müssen liefern. Viele Besucher:innen wünscht man sich künftig an diesem zentralen Museumsstandort in Berlins Mitte. Wie die neue Strategie für das Museum aussieht, haben Fellrath und Bardaouil nur ein paar Stunden zuvor in derselben Halle 4 vorgestellt.
Bardaouil und Fellrath starten mit einer Namensänderung in die neue Ära: „Hamburger Bahnhof – Nationalgalerie der Gegenwart“, soll das Haus künftig heißen. Damit wird die klare Zugehörigkeit zu Neuer und Alter Nationalgalerie, zum soeben entstehenden Museum des 20. Jahrhunderts am Kulturforum betont, aber auch das eigene Profil geschärft: Das 19. und 20. Jahrhundert dort, die Gegenwart hier.
Zudem wollen die international gut vernetzten Neuberliner stark in die Stadt hineinwirken. Sie möchten den Außenbereich neu beleben. Einige Kunstwerke wie die einstürzende Mauer von Urs Fischer oder der Geldautomat von Elmgreen & Dragset sind dort, teils recht unbemerkt, bereits installiert. Jedes Jahr soll nun ein weiteres Outdoor-Werk hinzugekauft, die erste neue Arbeit im Juni 2023 vorgestellt werden.
Der Hamburger Bahnhof ist als Treffpunkt für Berliner:innen, Besucher:innen, „lokale und globale Gemeinschaften“ geplant – und soll als Scharnier zwischen Invalidenstraße und Europa-City dem bisher noch recht steril wirkenden neuen Viertel in der unmittelbaren Nachbarschaft eine Kultur-Infusion verpassen.
Es sollte eine Warnung sein, künftig besser mit Gemeinwohl umzugehen.
Daniel Wesener, Senator für Finanzen, Berlin
Für mehr Zugänglichkeit im Hauptgebäude soll ein neues „Forum“ zwischen Buchladen und Westflügel sorgen, ein kostenlos zugänglicher Bereich, der die wechselvolle Geschichte des Hamburger Bahnhofs als Ort des Reisens, der Begeisterung für Technik und Beschleunigung im 19. Jahrhundert und später des Stillstands im deutsch-deutschen-Grenzbereich erzählt.
Im „Forum“ soll aber auch Platz für aktuelle Themen sein, von Migration bis Klimawandel. Ab April 2023 wird eine Installationen der gebürtigen Zwickauer Künstlerin Henrike Naumann gezeigt, die ihre ostdeutsche Wohnzimmerlandschaft in ein klemmig-piefiges, westdeutsches Pendant von Gregor Schneider integriert.
100-stündige Performance zu Hannah Arendt
Ab April 2023 werden im dann frisch renovierten Westflügel des Hamburger Bahnhofs Werke aus der ständigen Sammlung präsentiert. Berliner Kunst seit 1989 verbindet sich mit Minimalismus und Videokunst seit den sechziger Jahren. Für die Sonderausstellungen holen Fellrath und Bardaouil einige Künstler:innen nach Berlin, mit denen sie im Rahmen ihrer internationalen Kuratorentätigkeit gearbeitet haben.
Ab Februar ist etwa Zineb Sediras postkoloniales Kinoprojekt „Dreams Have No Titles“ zu sehen, das die franko-algerische Videokünstlerin bei der diesjährigen Venedig Biennale vorstellte. Malerei der Gegenwart, in einer Rauminstallation kombiniert mit Werke der ständigen Sammlung, gibt es ab März in der Ausstellung der US-amerikanischen Malerin Christina Quarles.
Ein Highlight im September ist die Performance „Where Your Ideas Become Civic Action“ von Tania Bruguera, die eine 100-stündige Lesung von Hannah Arendts Werk „The Origins of Totalitarianism“ von 1951 neu inszeniert. Wo es in Sachen Kooperation mit anderen Institutionen hingeht, zeigt eine Intervention des britischen Künstlers Liam Gillick. Auf Einladung des Hamburger Bahnhofs installiert er im April eine Lichtinstallation im Pergamonmuseum.
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