Brüderlich mit Herz und Hand
Ihnen zuzusehen ist eine reine Freude, und zwar sowohl beim Musizieren wie auch hinterher beim Applaus: Ob Lucas und Arthur Jussen nun an zwei Flügeln Platz nehmen oder sich die Tastatur eines Instruments teilen – immer wird für das Publikum spürbar, wie nah sich die beiden Brüder sind. Sie spielen mit einem gemeinsamen Atem, ihre Energien fließen symbiotisch zusammen, um sich dann in packenden Interpretationen zu entladen.
Die beiden Niederländer sind großartige Klangerzähler, sie schlagen mit ihrem Sinn für Licht-und-Schatten- Wirkungen die Zuhörer:innen in ihren Bann. Und sie können in den Kompositionen harmonische Entwicklungen nachvollziehbar machen, die sich sonst nur Fachleuten erschließen. Weil es ihnen gelingt, innermusikalische Vorgänge ins Atmosphärische zu übersetzen.
Und wenn sie anschließend dann vom Publikum gefeiert werden, rücken Lucas und Arthur beim Verbeugen ganz dicht aneinander, strahlen synchron, legen sich gegenseitig den Arm um die Schulter, mit einem Wort: Sie geben das fast schon kitschige Bild einer perfekten geschwisterlichen Verbundenheit ab – und wirken dabei keine Sekunde lang wie Schauspieler ihrer selbst, sondern absolut authentisch.
Es geht stets im Partnerlook auf die Bühne
„Mein älterer Bruder Lucas hatte zuerst Klavierunterricht, dreieinhalb Jahre später ging es dann bei mir los“ erzählt Arthur Jussen beim Doppelinterview im Konzerthaus, wo die Niederländer in dieser Saison „Artists in Residence“ sind. „Der Vorschlag, zusammen zu musizieren, kam von unserer Lehrerin. Und wir haben seitdem immer Spaß daran gehabt.“ Lediglich während ihrer Studienjahre waren sie mal längere Zeit räumlich getrennt, doch trafen sie sich auch da noch regelmäßig für ihre Auftritte.
Bei denen sie ständig die Position wechseln: Mal darf der eine die oberen Oktaven bedienen, in denen zumeist die Melodien erklingen, mal der andere: „Vor jedem neuen Stück, das wir uns vornehmen, werfen wir eine Münze“, erklärt Arthur Jussen.
Dass die Brüder stets im Partnerlook die Bühne betreten, ist eine Folge ihrer Kinderstar-Karriere: Weil sie nicht verkleidet als kleine Erwachsene mit Anzug und Krawatte auftreten wollten, bat ihre Mutter einen niederländischen Designer, sich etwas Festliches, aber Altersgemäßes einfallen zu lassen. Seinen Kreationen sind die Jussens bis heute treu geblieben. „Er weiß beispielsweise, dass wir am Rücken etwas mehr Platz brauchen, damit wir uns bewegen können”, sagt Lucas. „Wenn man sich wohlfühlt in seiner Kleidung, hat man bessere Energie auf dem Podium. Und spielt besser.“
In den wichtigen Sälen zählt das Äußere nicht
Dass die zwei Pianisten nicht nur außergewöhnlich modebewusst wirken, sondern auch noch unverschämt gut aussehen, ist den mittlerweile 25- und 29- jährigen Brüdern bewusst. Und sie reflektieren durchaus die Auswirkungen dieser optischen Komponente auf ihre Karriere. „Es wird nicht oft ausgesprochen, aber die Klassik ist letztlich auch ein Wirtschaftsbetrieb“, sagt Lucas. „Es müssen Tickets verkauft werden. Und es wäre unrealistisch, wenn man sagte, dass die Leute gar nicht auf das Äußere schauen.“
Gleichzeitig hoffen aber beide darauf, dass ein Großteil der Menschen wirklich der Kunst wegen zu ihren Konzerten kommt. Und die wirklich wichtigen Säle in den Kulturmetropolen, fügt Lucas hinzu, könnten es sich auch gar nicht erlauben, jemanden nur wegen des ansprechenden Äußeren einzuladen.
Was ihnen wiederum gut gefällt, ist die Tatsache, dass gerade in den Niederlanden viele junge Leute im Publikum sitzen. Nicht, weil sie Schubert so liebten, sondern weil sie mal „diese Jungs“ sehen wollen, von denen alle sprechen. „Am Schönsten finde ich, wenn der Saal die ganze Gesellschaft abbildet“, betont Arthur. Weshalb die Brüder auch in ihrer Programmauswahl danach streben, das Repertoire für zwei Klaviere in seiner ganzen stilistischen Vielfalt vorzustellen. Immer wieder schreiben sie auch Mails an lebende Komponisten, deren Werke sie mögen, und bitten darum, dass diese ein Stück für Klavierduo schreiben. Zuletzt hatten sie damit Erfolg bei Fazil Say.
Oder sie suchen sich überraschende musikalische Partner, so wie die beiden Perkussionisten, mit denen sie am 19. Mai im Konzerthaus auftreten werden. „Wir lieben diese Besetzung“, schwärmt Arthur. „Das Publikum kennt die Stücke zwar fast nie, aber sie lassen sich immer mitreißen, reagieren enthusiastisch – weil so viel Energie im Saal ist.“
Die Vielfalt des Orchesters auf 88 Tasten?
Zuvor sind die Jussen-Brüder aber am Gendarmenmarkt noch ganz klassisch zu erleben. Zum einen interpretieren sie am 8. und 10. April zusammen mit dem Konzerthausorchester und Ivan Fischer Mozarts Konzert für zwei Klaviere und Orchester. „Es ist zwar das Werk, das wir am häufigsten gespielt haben“, sagt Lucas, „aber wir können nie davon genug bekommen. Und wir freuen uns, wenn diejenigen, mit denen wir es spielen, eigene Ideen haben, bestimmte Details hervorheben wollen. Dann ist es auch für uns wieder neu.“
Am 27. April schließlich gibt es noch einen Duo-Abend, wiederum im großen Saal. Dabei erklingen vierhändige Originalkompositionen von Chopin, Schostakowitsch, Rachmaninow und Mozart, aber auch „La Valse“ von Maurice Ravel, eine Tondichtung, die der französische Komponist eigentlich 1920 für ganz großes Orchester geschrieben hat. Ist es überhaupt möglich, die Vielfalt eines sinfonischen Instrumentariums auf 88 Tasten zu übertragen, gerade bei einem Klangzauberer wie Ravel? „Uns ist es wichtig, dass der Komponist selbst die vierhändige Fassung erstellt hat“, betont Arthur. „Bei ,La Valse’ funktioniert es zu 100 Prozent.“