Abgesang auf die alten weißen Männer
Vor alten weißen Männern, die dieses zuletzt ein wenig in Verruf geratene Prädikat nicht nur gänzlich unironisch, sondern auch mit einem gewissen Stolz für sich in Anspruch nehmen, sind natürlich auch nicht – vielleicht sogar gerade nicht – traditionsreiche Bildungsinstitutionen gefeit. Dumm nur, dass im Zeitalter der sozialen Medien Ausfälle umgehend im Internet landen.
Das Video, in dem Jura-Professor Richard Pohl (Christoph Maria Herbst) im vollen Hörsaal das gesammelte Repertoire seiner rassistischen Ressentiments an der Erstsemester-Studentin Naima (Nilam Farooq) testet, löst in den sozialen Medien einen Shitstorm aus, der nicht zum humanistischen Bildungsauftrag der altehrwürdigen Johann Wolfgang Goethe-Universität passt. Die Eskapaden des renitenten Profs sind ein Fall für den Disziplinarausschuss.
„Unterschichtig“ nennt Pohl die Ausdrucksweise Naimas – noch das Netteste, das er über die junge Frau zu sagen hat. Warum die 32-jährige Farooq eine Erstsemesterin spielen muss, bleibt wohl das Geheimnis von Regisseur Sönke Wortmann („Der Vorname“), der mit „Contra“ die französische Culture-Clash-Komödie „Die brillante Mademoiselle Neïla“ verfilmt hat. Dieses nicht nur im Nachbarland seit „Ziemlich beste Freunde“ und „Monsieur Claude und seine Töchter“ unanständig erfolgreiche Segment des „politisch unkorrekten“ Humors ist immer ein dankbarer Anlass, Ressentiments unter dem Vorwand der Entlarvung Luft zu machen.
Paralipse heißt die rhetorische Figur (wie Pohl seiner Studentin unermüdlich erklärt), auf der im Prinzip auch die Culture-Clash-Komödie basiert. Es handelt sich dabei um eine Auslassung, die eine Aussage, in diesem Fall eine Diskriminierung, noch unterstreicht – ohne dass sich der Sprecher diese Position zu eigen macht.
Alltagsrassismus an der Universität
Naima kriegt das volle rhetorische Programm des Profs ab, weil der Uni-Präsident den beratungsresistenten Pohl dazu verdonnert, die „kleine Araberin“ auf einen nationalen Debattierwettbewerb vorzubereiten; und sich so auch im Disziplinarverfahren der Universität als minimal sozialverträglich zu präsentieren. Die erste Runde übersteht Naima noch, weil die Kontrahentin ihre rassistischen Ansichten weniger eloquent zu verklausulieren versteht als der Mentor wider Willen.
Danach wird es grundsätzlich. Naima verteidigt den Islam gegen die christliche Gewaltgeschichte, das Recht auf Abtreibung und das heimliche Credo des Westentaschen-Trumpisten Pohl: In der Rhetorik gehe es nicht um die Wahrheit, sondern die besseren Argumente, um das Publikum von seinen Ansichten zu überzeugen. Die ganz harten Geschütze fahren Wortmann und sein Drehbuchautor Doron Wisotzky dabei nicht auf.
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Darüber wird man ja wohl noch mal lachen dürfen
Natürlich macht man sich automatisch verdächtig, beschuldigte man das Autorenteam, den Rassismus seiner Hauptfigur nicht so vollmundig und blumig wie den edlen Weißwein zu kredenzen, den der Prof mit Kennerblick in seinem Lieblingsrestaurant hinunterstürzt. (Bei Naima zuhause gibt es nur Nachos aus der Mikrowelle.) Schließlich – Achtung Paralipse! – handelt es sich bei „Contra“ um eine Komödie über Rhetorik. Doch darin besteht eben das Dilemma des Culture-Clash-Humors: Ernsthaft zur Sache dürfen die Auswüchse des Alltagsrassismus doch nicht gehen, sonst wird es unangenehm. Und man soll ja noch entspannt lachen können. So wird Pohl eine tragische Familiengeschichte angedichtet, die dieser sicherheitshalber aber noch mal kokett einordnet: „Ein Arschloch war ich schon vorher.“
Die Kombination aus dem auf Berufszyniker abonnierten Herbst und dem ehemaligen Youtube- und „Soko Leipzig“-Star Farooq liest sich auf dem Paper wie eine gute Idee. Aber zwischen den beiden will es nicht richtig funken, selbst wenn sie sich vor dem Rededuell – zur Entspannung der Nerven – mit einem Tänzchen zu Bill Withers eingrooven. Debattieren sei wie ein Rap-Battle, erklärt Naima ihrem Sandkastenfreund Mo (Hassan Akkouch), den sie den blondgescheitelten Trustfund-Kids von der Uni vorzieht.
So fällt dieser Abgesang auf die alten weißen Männer, gemessen an den rhetorischen Fähigkeiten der Figur, altväterlich-versöhnlich aus. Provozieren, ob zur Gegenrede oder zum Nachdenken, lässt sich damit in der Realität des Jahres 2021 sicher niemand mehr. ( In 19 Berliner Kinos)