Sängerin Catherine Gayer: Erinnerung an einen Skandal

Die Koloratursopranistin Catherine Gayer war im April 1961 in Venedig dabei, als Luigi Nonos Oper „Intolleranza 1960“ ihre tumultuöse Uraufführung erlebte. Die 1937 in Los Angeles geborene Sängerin, die in Berlin an der Hochschule der Künste Berlin studierte und dann 41 Jahre zum Ensemble der Deutschen Oper gehörte, erinnert sich noch lebhaft an den Premierenabend.

„Es war im Februar ‘61, als Luigi Nono mich anrief und fragte, ob ich Zeit und Lust hätte, eine Uraufführung von ihm in Venedig zu singen. Ich war damals 24 Jahre alt und studierte mit einem Fulbright-Stipendium in Berlin. Ich bin dann, ohne einen Vertrag zu haben, einfach nach Venedig gereist – und musste dort feststellen, dass nur der erste Teil der Oper fertig komponiert war. Für meine Rolle der Gefährtin gab es keinen Ton, keine Note. Jeden Tag haben der Korrepetitor und ich mit bated breath, also mit angehaltenem Atem, auf irgendwas Neues gewartet, neugierig und hoffnungsvoll. Aber Nono und ich haben uns gut verstanden, und er hat dann wirklich genau für meine Stimme komponiert. Für mich sind das die schönsten Momente des Werks, fast Belcanto.

Venedig war damals politisch gespalten. Die Statisten der Produktion stammten zumeist von der Giudecca-Insel, einem Arbeiterviertel, wo auch Luigi Nono wohnte. Bei der Uraufführung saßen dann auch Faschisten im Teatro La Fenice, mit der Absicht, die Vorstellung zu sabotieren. Sie haben sehr viel Lärm gemacht und sogar Stinkbomben auf das BBC Orchestra geworfen. Bruno Maderna schrie „Fascisti!“ ins Mikrofon bei seinem Dirigentenpult, die Vorstellung musste unterbrochen werden.

Erst nach fast gewalttätigen Auseinandersetzungen konnte es weitergehen. In der Pause kamen alle zu mir, um mich zu beruhigen. Nuria Nono, die Frau von Luigi, erinnerte sich später, dass ich ruhig geantwortet hätte: „Ich werde sie mit meiner Stimme zum Schweigen bringen.“

Die Vorstellung ging dann fast normal weiter, am Ende aber haben die Faschisten Flugblätter geworfen, auf denen so etwas stand wie „Solche Musik kriegt man in einer Demokratie“. Am nächsten Tag erschienen auf der Titelseite in vielen Zeitungen riesige Artikel über „Intolleranza 1960“. Und die zweite Vorstellung ging ohne Lärm und Stinkbomben über die Bühne. „Wie langweilig“, meinte ein Musiker vom BBC Orchestra zu mir.“

An der Komischen Oper ist noch bis zum 3. Oktober eine Neuinszenierung von Nonos „Intolleranza 1960“ zu sehen.

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