„Wir sind Schlusslicht in der EU“
Katerina Gregos ist seit dem 1. Juli Direktorin des EMST in Athen. Nach einem Studium in London war sie von 1997 bis 2002 Gründungsdirektorin der Deste Foundation in Athen. 2006 übernahm sie die Leitung des Argos-Zentrums für audiovisuelle Künste in Brüssel, später war sie künstlerische Leiterin der Art Brüssel-Messe. Seit über 15 Jahren arbeitet Gregos auch als unabhängige Kuratorin und Autorin. Sie war Kuratorin der 1. internationalen Biennale für zeitgenössische Kunst in Riga und kuratierte die Biennale in Göteborg, die Manifesta, die Biennale in Thessaloniki sowie drei nationale Pavillons auf der Biennale von Venedig für Dänemark, Belgien und Kroatien. Seit 2016 ist sie Kuratorin der Schwarz-Stiftung.
Frau Gregos, die verheerenden Brände in Griechenland sind zwar inzwischen teilweise eingedämmt, aber die Lage ist noch lange nicht unter Kontrolle. Wie groß ist das Ausmaß der Zerstörung im Land?
Die ökologische Zerstörung ist beispiellos. Wenn dieng ist beispiellos. Wenn die meisten Menschen an Griechenland denken, haben sie das Meer und die Inseln vor Augen. Das Land verfügt aber auch über zahlreiche ausgedehnte Waldgebiete und wichtige Biotope für viele mediterrane Arten, Flora und Fauna. Seit Beginn der Brände sind mehr als 290 000 Hektar verbrannt worden. Zwischen 2008 und 2020 wurden im Jahresdurchschnitt 7000 Hektar pro Jahr durch Waldbrände vernichtet.
Wie haben Sie die Situation hier in Athen erlebt?
Die Situation in Teilen von Athen war unerträglich: hohe Temperaturen, schwarzer, rauchgeschwängerter Himmel, schlechte Luftqualität, ein dystopisches Szenario. Die Asche der Brände in Athen reichte bis zu den kykladischen Inseln
Als Sie im Juli die Leitung des EMST in Athen übernommen haben, schien zumindest die Zukunft für das Museum hoffnungsvoll.
Das Museum wurde im Jahr 2000 gegründet und war bis 2016 in provisorischen Räumen untergebracht, bis es in die ehemalige FIX-Bierbrauerei einzog, die in den späten 1950er-Jahren von dem griechischen Moderne-Architekten Takis Zenetos gebaut worden war. Die Gründungsdirektorin Anna Kafetsi wurde 2014 entlassen, was in der griechischen Kunstszene für Aufsehen sorgte. 2017 war das EMST Hauptausstellungsort der Kasseler Documenta 14.
Während der Finanzkrise blieb es unter anderem aufgrund drastischer Haushaltskürzungen nur eingeschränkt in Betrieb. Wenigstens ein Teil der Sammlung des Museums konnte schließlich mit Hilfe der beiden Interimsdirektoren und des Kulturministeriums im Februar 2020 eröffnet werden.
Was hat Sie bewogen die Leitung dieses in vielerlei Hinsicht schwierigen Hauses zu übernehmen?
Nachdem ich so viele Jahre im Ausland gearbeitet habe, schien es mir der richtige Moment, einen Beitrag in meinem Land zu leisten. Sicherlich handelt es sich um einen der schwierigsten Museumsposten in Europa. Nach einem Jahr der Diskussionen mit der Regierung und einer von mir vorgeschlagenen Prüfung aller Aspekte des Museumsbetriebs bis hin zur Finanzierung, habe ich vor Amtsantritt einige Bedingungen gestellt, von denen die meisten erfüllt wurden.
Worum ging es dabei?
Mir wurde beispielsweise klar, dass 75 Prozent der Sammlung aus Schenkungen bestand, wovon 96 Prozent wiederum von griechischen Künstlern stammten. Das Museum braucht einen festen Etat, um Werke ankaufen zu können, statt sich auf Schenkungen zu verlassen. Ein anderer Punkt ist, dass in Griechenland Museumsvorstände absolute Macht haben. Das heißt, die Direktoren machen Vorschläge, aber der Vorstand trifft die Entscheidung.
Ich hätte diese Stelle nicht angenommen, ohne die Zusicherung, dass ich völlige inhaltliche Freiheit habe und bin nun fest entschlossen, eine Einrichtung zu schaffen, die in der Region zu einem Bezugspunkt und international für ihren Standpunkt anerkannt wird.
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Welche Bedeutung hat das EMST für die zeitgenössische Kultur des Landes?
Wir brauchen in Griechenland ein Museum, das auch unsere eigene geo-politische Position widerspiegelt, also die regionalen Geschichten und kulturellen Identitäten berücksichtigt und zwar keineswegs nationalistisch, sondern immer im Dialog mit der internationalen Kunstwelt. Für mich ist die Ära des globalisierten Franchise-Museums vorbei, die das westliche Modell und seinen modernistischen Einfluss lediglich imitiert.
Museen sind wichtige Zentren für alternative Wissensproduktion und kritisches Denken, in denen man inspirierende und einprägsame Kunst sehen sollte, die in Zeiten der Aufblähung und Überproduktion von Bildern hervorsticht.
Was sind Ihre Pläne für das Haus?
Ich bin besonders sensibel für die prekäre finanzielle Situation, in der sich die meisten Künstler befinden, vor allem in Ländern wie Griechenland, wo es üblich ist den Künstlern keine Honorare zu zahlen. Dies werde ich für das EMST ändern und die Zahlung von Künstlerhonoraren einführen.
Und jenseits der finanziellen Aspekte?
In einem Land, in dem der Kunstmarkt so gut wie zusammengebrochen ist, müssen wir als Museum verstärkt lokale Kunst präsentieren und eine solide Sammlung zeitgenössischer Kunst aus Griechenland aufbauen, zusätzlich zu einer gezielten Sammlung internationaler Kunst. Schließlich ist es für ein Museum wie das EMST auch wichtig, dem einheimischen Publikum die Möglichkeit zu geben, bedeutende Künstler aus dem Ausland zu entdecken.
Was wird Ihre erste Ausstellung sein?
Anlässlich des 200. Jahrestages der Unabhängigkeit Griechenlands wird sich meine erste internationale Gruppenausstellung „Statecraft and Beyond“ mit der Konstruktion von Nation und Staatlichkeit befassen.
Welchen Stellenwert hat die griechische Gegenwartskunst in der internationalen Kunstszene?
Ich sage es nur ungern, aber abgesehen von einer Hand voll Künstlern, die es geschafft haben, sich in Griechenland und im Ausland einen Namen zu machen, sind griechische Künstler außerhalb der Landesgrenzen weitgehend unsichtbar. Das Kunstausbildungssystem in Griechenland ist größtenteils noch sehr provinziell und konservativ. Hinzu kommt das langfristige Fehlen einer staatlichen Kulturpolitik. Dies ändert sich langsam. Zum ersten Mal gibt es im Kulturministerium einen Unterstaatssekretär für zeitgenössische Kultur, der versucht, gewisse Defizite in diesem Bereich zu beheben. Griechenland hat die niedrigsten Pro-Kopf-Ausgaben für Kultur in der gesamten EU, was an Ironie grenzt angesichts der Menge an Altertümern, die wir schützen müssen, bevor wir überhaupt an zeitgenössische Kultur denken.
Die 2013 von dem Sammler Dimitris Daskalopoulos gegründete Kunststiftung Neon hat eine ehemalige Tabakfabrik zum Kunstzentrum umgebaut und eben mit einer internationalen Ausstellung eröffnet. Welche anderen interessanten Kulturorte sollte man in Athen nicht verpassen?
Die Stavros Niarchos Cultural Foundation ist stark in der Oper und den Darstellenden Künsten engagiert. Das Onassis-Kulturzentrum ist ein sehenswerter Ort für Live-Kunst sowie digitale Kultur und das Athener Kykladenmuseum zeigt ein sehr ambitioniertes Programm für zeitgenössische Kunst. Natürlich nicht zu vergessen, die Deste-Foundation, die ich früher geleitet habe und die lange die einzig maßgebliche Institution für Gegenwartskunst in Griechenland war.
Worauf freuen Sie sich am meisten, wenn Sie zurück nach Athen ziehen?
Im unvergleichlichen griechischen Meer zu schwimmen und das schöne Wetter zu genießen, nachdem ich 15 Jahre im Brüsseler und 12 Jahre im Londoner Wetter verbracht habe.