Die BRD feierte ihn als Genie, in der DDR war er Genosse
Die Gründe für die Absage waren mehr als fadenscheinig. Als 1952 eine Ausstellung mit Lithografien Pablo Picassos von Nürnberg nach Berlin weiterreisen soll, sorgt Joachim Tiburtius dafür, der CDU-Senator für Volksbildung, dass die Schau nicht zustande kommt. Wegen angeblicher Transportschwierigkeiten, wie es heißt. In der Frontstadt des Kalten Krieges war der Maler nicht erwünscht.
Der Leiter des Amts für Bildende Kunst beim Magistrat verriet später in einem vertraulichen Brief an den Nürnberger Museumsdirektor doch noch die Gründe. Die Grafikausstellung sei wegen „politischer(r) Bedenken“ abgesagt worden. Außerdem habe sich eine „Ergebenheitsadresse“ des Künstlers an den Generalsekretär der Kommunistischen Partei Frankreichs „ungünstig ausgewirkt“.
Im Kölner Museum Ludwig hängen nun Plakate vorheriger Stationen der Picasso-Schau, das Berliner Exemplar trägt weder Ort noch Laufzeit. Ein Original ist es nicht. Die Kölner Kuratorin Julia Friedrich ließ das Plakat nachdrucken, um die Leerstelle zu veranschaulichen. In Berlin finden sich heute keine Dokumente mehr zu dem denkwürdigen Vorgang. Den aufschlussreichen Brief über die wahren Hintergründe der Absage entdeckte Julia Friedrich im Archiv des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg.
Die ganze Geschichte des Jahrhundertkünstlers Picasso und das Verhältnis der Deutschen zu ihm muss also erst noch geschrieben werden. Die Kölner Ausstellung „Der geteilte Picasso“ schlägt eines der spannendsten Kapitel darin auf. Unter der Überschrift „Der Künstler und sein Bild in der BRD und DDR“ wird nicht sein Werk, sondern die Reaktion des deutsch-deutschen Publikums in der Nachkriegszeit untersucht.
Beide Seiten, West und Ost, legten sich den Maler so zurecht, wie sie ihn gebrauchen konnten: als Genie in der BRD, als Genosse in der DDR. Passte er trotz KP-Mitgliedschaft nicht ins Konzept, wurde der Künstler auch im Osten abserviert. So ließ die SED die komplette DDR-Auflage eines Picasso-Buchs des Sammlers Lothar Günther Buchheim beschlagnahmen, weil es nur die „formalistischen Arbeiten des revolutionären Künstlers“ enthalte. Offiziell hieß es, das Impressum fehle, das Buch sei zu teuer.
Auf der anderen Seite der Mauer war Picasso wiederum als politischer Kopf unerwünscht. Das hätte die Legende von der heroischen Moderne zerstört, deren Protagonisten sich angeblich um das dramatische Geschehen rundum nicht scherten, von ihr nicht tangiert wurden – als hätte es die Verfolgungen jüdischer und politischer Künstler im „Dritten Reich“ nie gegeben.
Auf der ersten Documenta 1955 in Kassel, die dieses Narrativ verankern sollte, um den Deutschen ein bruchloses Anknüpfen an die Zeit vor 1933 zu erlauben, ist Picasso einer der Hauptzeugen für die vermeintliche Unberührbarkeit der Kunst, ihre Arglosigkeit. Sein Gemälde „Das Mädchen vor dem Spiegel“ von 1932 hängt als Schlüsselwerk in der Flucht eines der größten Ausstellungssäle, die Wände des Documenta-Cafés – das erste Museumscafé in der Bundesrepublik – zieren Lithografien von ihm.
Heute wissen wir es besser. Die Instrumentalisierung der Moderne, ihre Darstellung als unbefleckte Sphäre, diente nicht zuletzt den Machern der Documenta, überhaupt jener Riege von Museumsmännern und Händlern, die mit den Nationalsozialisten zusammengearbeitet hatten und nun unbehelligt an die vormals besseren Zeiten anknüpfen wollten.
Beim Kolloquium vor zwei Jahren zur Vorbereitung der Augen öffnenden Ausstellung „Documenta. Politik und Kunst“ im Deutschen Historischen Museum hat die Kölner Kuratorin Julia Friedrich einen der Impulsvorträge gehalten. Damals musste sie noch erleben, wie sich das Publikum über den vermeintlichen Thronsturz des Documenta-Gründers Werner Haftmann empörte. An den nun in der Berliner Ausstellung präsentierten Belegen seiner Beteiligung an Kriegsverbrechen als SS-Mitglied in Italien kommt inzwischen niemand mehr vorbei.
Die Recherchen für Friedrichs Berliner Vortrag und die Vorbereitung der Kölner Picasso-Ausstellung gingen Hand in Hand. Ähnlichkeiten sind bei beiden Ausstellungen zu erkennen. Während die DHM-Schau (noch bis 9. Januar) mit Gittern zur Präsentation der Bilder und Dokumente arbeitet, die an die filigrane Aufhängung der Werke an Drahtseilen in der Ruine des Fridericianums erinnern, hat der Künstler Eran Scherf für die Ausstellung im Ludwig-Museum Stellagen entwickelt. Auch sie zielen auf eine Gleichrangigkeit von Artefakten und Briefen, Fotografien, Aktennotizen. Alles hat seine zwei Seiten vermittelt Scherfs Ausstellungsarchitektur: vorne das Bild, hinten die Geschichte.
In Köln ist auf diese Weise ähnlich wie im DHM eine kulturhistorische Ausstellung entstanden, die Picasso-Liebhaber:innen erschüttern dürfte, die ihrem Klassiker nur huldigen wollen. Durch die Schenkung Peter Ludwigs besitzt Köln heute eine der größten Sammlungen. Eine ähnlich drastische Kontextualisierung erlebte vor zwei Jahren Emil Nolde im Hamburger Bahnhof. Damals lernte die Nolde-Gemeinde anhand von Dokumenten die Schattenseiten des Künstlers sehen, der sich den Nationalsozialisten angedient hatte. Eine jüngere Generation Museumskurator:innen hat eine neue Lust erfasst, kulturhistorische, politische Ausstellungen zu machen, wie man sie sich auch für das Ethnologische Museum im Humboldt Forum gewünscht hätte.
[Museum Ludwig, Köln, bis 30. 1.; Katalog (Verlag Buchhandlung König) 25 €.]
Dabei war der politische Picasso auch im Westen der Republik zu sehen. „Guernica“ tourte 1955/56 im Rahmen einer großen Retrospektive durch München, Hamburg und Köln. Auch „Das Massaker in Korea“ (1953) wurde ebenfalls gezeigt, obwohl das Auswärtige Amt empfohlen hatte, politische Werke möglichst auszusparen. Die Sorge erwies sich als unbegründet. Das Publikum reagierte nicht nennenswert auf die Anklage gegen den Einsatz der US-Armee im Korea-Krieg. Zu „Guernica“ fehlte in der Ausstellung ohnehin jeglicher Hinweis auf die deutsche Legion Condor. Die Amnesie reichte so weit, dass die Bundeswehr noch 1990 auf einem Plakat mit dem Gemälde für sich als Friedensbringer warb. Metergroß ist es nun wieder an einer Museumswand zu sehen.
Heftige Diskussionen in Berlin
Nur wenige Schritte davon entfernt hängt der Theatervorhang des Berliner Ensembles mit Picassos berühmter Friedenstaube. Der Schriftsteller Louis Aragon hatte das Motiv 1949 für das Plakat des Weltfriedenskongresses ausgewählt, Brecht übernahm es. Als der Dramatiker auch noch Picassos 1951 für die französische Delegation bei den Ost-Berliner Weltjugendspielen entworfene Halstuch als BE-Plakat einsetzte, entzündete sich eine heftige Diskussion. Der Bourgeois, der in Südfrankreich in Saus und Braus lebte, blieb suspekt. Umgekehrt durfte das BE-Plakat in den Westzonen Berlins nicht geklebt werden.
Wie schwer man sich dort trotz aller Freiheitlichkeit mit ihm tat, erweist das Gemälde „Kopf einer lesenden Frau“. Wer genau hinschaut, erkennt die retuschierten Riefen, letzte Spuren einer Attacke auf eine Neuerwerbung des damaligen Wallraf-Richartz-Museums – so aggressiv reagierten 1953 Besucher auf das Bild. Er sei offensichtlich nicht „entartet“ genug, um diese „Kunst“ zu erkennen, ereiferte sich ein Leserbriefschreiber im Kölner „Stadtanzeiger“. Die Ausstellung wirft ein grelles Licht auf die Rezeption.