Zwei Franzosen in Berlin

Ein Star debütiert bei den Berliner Philharmonikern. Der Glockenton seines Countertenors hat sich die Welt erobert. Philippe Jaroussky aber bleibt ein Musiker der Überraschung, weil sein Gesang mit jedem Einsatz das Flair der Neuheit bewahrt. Die Aura der Vollkommenheit, die aus den hellen Höhen seines Soprans strahlt, will verteidigt sein. Und wie es gelingt, bei relativ kleinem Volumen der Stimme, grenzt ans Wunderbare.

Tief in den Brunnen der Vergangenheit tauchen die Arien, die er unter der Leitung seines französischen Landsmannes Jean-Christophe Spinosi singt. Ein byzantinischer Kaiser beklagt seine Herzensnot, und vor den Olympischen Spielen der Antike durchlebt ein kretischer Prinz Gefühlsstürme, beides Stücke von Antonio Vivaldi. Die Auftrittsarie des Tancredi in der gleichnamigen Oper von Rossini führt ins Jahr 1003. Auf die Ära der Kastraten folgte in der Operngeschichte die der weiblichen Hosenrollen. So der Tancredi.

Jaroussky ist ein Magier der androgynen Gestalten. Während der differenzierten Orchestereinleitung Rossinis betritt er die Bühne, um seine moderne, historisch orientierte Belcanto-Kunst zu entfalten. Die Leichtigkeit der Stimme hat festen Grund in der Koloratur, die das Publikum bezwingt. Dass sich eine Zugabe erübrigt, gehört zum pausenlosen Konzert in Zeiten der Pandemie.

Spinosi gibt dem Bären Zucker

Der Dirigent Jean-Christophe Spinosi feiert ebenso wie der Sänger sein Debüt bei den Berliner Philharmonikern. Es geht ihm sichtlich nahe. Als er nach der „Jupiter“-Sinfonie für den Beifall dankt, legt er die Hand aufs Herz. Seine Mozart-Interpretation kommt aus musikantischer Empfindung. Mit anschaulicher Körpersprache im Detail riskiert er, dass ein Satz wie das singende Andante – von den Streichern mit Dämpfer gespielt – an Innenspannung verliert. Die Philharmoniker reagieren auf ihn mit ihrer Spielfreude. Seine Liebe zur Musik des 18. Jahrhunderts bekundet Spinosi auch in der Wahl der Haydn-Sinfonie Nr. 82, die ihren Titel „L’Ours“ der Assoziation mit einem Tanzbären verdankt, wie er früher auf Jahrmärkten anzutreffen war. Dieses Finale, dessen Satz mehrfach scheinbar endet, um weiterzugehen, wird in der Philharmonie zu einer wahren Publikumsbespaßung.