Wenn Wünsche immer irrer werden
Nach wie vor sind die Wiener Philharmoniker das sommerliche Hausorchester der Salzburger Festspiele. Zum Glück. Restlos glücklich, wer die Wiederaufnahme-Premiere der „Elektra“ in der Felsenreitschule miterlebt hat. Es ist dies ein blutiges Stück, ohne Ausweg, ohne Moral, nichts für Kinder.
Und doch ist die Orchestersprache, die Richard Strauss benutzt, um in die Abgründe der Atriden-Seelen hinabzusteigen, voller Wärme, Licht und Menschlichkeit. All der Schlachtenlärm wird, dank Franz Welser-Möst am Pult, leicht. Man hört das Mitleid heraus, in den Holzbläserkantilenen. Man hört die Hunde bellen, in den Hörnern. Und man wünscht sich, wenn man den schonungslosen Wahrheiten lauscht, die Elektra und Chrysothemis, die beiden Schwestern, einander klagen, dass es wenigstens dieses eine Mal bitte anders ausgehen möchte.
Die neue Salzburger Programmschiene heißt „Jung und jede*r“
Die Wiener Philharmoniker legen, wie jedes große Orchester heutzutage, auch ein Programm für die Jüngsten auf, die noch daran glauben, dass Wünschen helfen kann. Zur Hundertjahrfeier der Festspiele in Salzburg haben sie eine ihrer Kinderopern-Komponistinnen mitgebracht, Elisabeth Naske bringt das Musikmärchen „Der Stern, der nicht leuchten konnte“ zur Uraufführung. Die neue Salzburger Programmschiene „Jung und jede*r“ präsentiert neben Theaterstücken und Konzerten drei Musiktheaterstücke.
Das Erfolgskinderstück „Gold!“ vom niederländischen Komponisten Leonard Elvers ist ein Lehrstück in Sachen Bescheidenheit. Man braucht dafür nur Licht und ein Stück Stoff als Bühnenbild, eine gute Schlagzeugerin und einen sportlichen Tenor. Er erzählt, teils gesprochen, teils gesungen, teils getanzt, eine Low-Budget-Version des Märchens vom Fischer und seiner Frau und spielt alle Rollen: Ist zugleich der Fisch und der Fischer, aber auch die Frau und das Kind des Fischers. Jan Petryka macht das virtuos. Das Libretto ist sophisticated, da reimt sich Mangosaft auf fabelhaft.
Die Schlagzeugerin zaubert Meereswellen und Mondnächte herbei
Einige Kinder lauschen mit offenem Mund. Andere können den Blick nicht wenden von Vivi Vassileva und all den schimmernden Instrumenten, aus denen sie Meereswellen und Mondnächte zaubert, Geräusche und Musikbilder. Jedes Mal, wenn ein neuer Wunsch auftaucht, den der Fisch erfüllen soll, spielt sie auf dem Marimbaphon ein diatonisches Leitmotiv. Als die Wünsche irrer werden, das Meer wilder, dröhnt die große Trommel, kommt es zu Sturmböen, die Kinder klatschen und lärmen mit. Ein großer Spaß.
Bei den Festspielen in Bayreuth sind sie da schon einen Schritt weiter. Normalerweise sitzen die Kinder schon fast mit im Bühnenbild, so dicht rückt ihnen die Musik auf den Pelz. Auch der Dirigent, Chor und Orchester sind integriert. Außerdem spielt man ganze Wagneropern, gesungen von echten Wagnersängern, wie sie auch im Festspielhaus auf der Bühne stehen, mit all den schönen Stellen, die überwältigen und eine Gänsehaut erzeugen. Das ist Konzept, das macht auch den Vorbildcharakter der Bayreuther Kinderoper aus: Für die Kinder nur das Beste, Echte, ohne kindgerechte Verniedlichung, ohne erhobenen Zeigefinger!
Wegen Corona mussten „Tristan und Isolde“ ins alte Reichshof-Kino
Doch diesmal springt der Funke nicht recht über. Das liegt daran, dass die Neuproduktion des Nachtstücks „Tristan und Isolde“ aus Coronagründen verlegt werden musste von der Probebühne in das alte Reichshof-Kino, mit viel Luft zwischen Kind und Musik. Eine verfremdende, abstrakte Guckkasten-Situation. Das Brandenburgische Staatsorchester, unter Leitung von Azis Sadikovic, spielt versteckt auf dem Balkon, hinter dem Rücken des jungen Publikums.
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Auch das mobile Bühnenbild, bei dem sich das Schiffsdeck im Handumdrehen in König Markes Burg verwandelt und für Held und Heldin ausziehbare Liebeslotterbetten bereit stehen, verfehlt seinen Zweck. Alles zu weit oben, zu weit weg. Wundersam schmiegen sich die Knittelverse der neuen Textfassung ein in die Musik. Kelly God, im großen Festspielhaus eine der Walküren, ist hier eine strahlende Isolde, singt herrlich, rollt zornig die Augen und wirft mit toten Fischen nach den Seeleuten.
Im Programmheft stehen Stimmbildungs-Tipps
Stephen Gould, stattlicher Tristan mit güldenen Sauerkrautlocken, schmachtet sie filmreif an. Simone Schröder gibt wieder einmal volltönend die treusorgende Brangäne, Kay Stiefermann einen trompetenstarken Kurwenal. Und doch blieb die Personenführung von Dennis Krauß hölzern. Höchst lebendig dagegen die Stimmbildungs-Tipps im Programmheft: mit Noten und der Aufforderung, doch mitzumachen in einem Kinderchor: „Nu nu nu! Moi moi moi! Liebestrank! Liebestrank!“.