Wenn dich auf dem Lido Kühe angucken
Platons Höhlengleichnis inspiriert seit Generationen Filmkritikerinnen und -kritiker zu klugen und noch viel öfter banalen Überlegungen über den höheren Erkenntnisgewinn im dunklen Kinoraum. Ein Glücksfall ist es hingegen, wenn Filmemacher:innen sich des Höhlenmotivs annehmen.
Nicht immer ist ein Erkenntniswert beim Austreten aus der Kinohöhle gewährleistet, aber auf dem Lido ist zumindest eine „Erleuchtung“ garantiert. Der Griff zur Sonnenbrille ist dieses Jahr der erste Impuls, sobald man vormittags das Kino verlässt: Im Sommerlicht zeigt sich der Lido von seiner besten Seite.
Forscher und Hirten teilen sich den Film
Mit dieser Perspektive beginnt auch der der dokufiktionale „Il Buco“ von Michelangelo Frammartino, einem der fünf italienischen Wettbewerbsfilme; es geht um eine speläologische Expedition im Kalabrien der sechziger Jahre. Renato Bertas Kamera befindet sich im berühmten Abisso del Bifurto, in den Himmel gerichtet, im Hintergrund sind Grillen und Kuhglocken zu hören. Nach einigen Minuten linsen die Tiere über den Rand in die Tiefe: Das Publikum blickt ins Licht, die Kühe in den „negativen Raum“ des Kinos.
Die Einstellung bringt die beiden Sphären zusammen, die Höhlenforscher und die Hirten in der schroffen Bergregion teilen sich Frammartinos Film, der pastoral und archaisch zugleich anmutet. „Il Buco“ („Die Höhle“) markiert den Einfall der Wissenschaft, Archivaufnahmen berichten über das gerade vollendete Pirelli-Hochhaus, der Beginn der italienischen Nachkriegsmoderne. Die Forscher aber reisen in die Vergangenheit.
Viel historischer wird Frammartino nicht; wie sein letzter Film „Vier Leben“ kommt auch „Il Buco“ nahezu ohne Worte aus. Die Landschaft, die Arbeit, die Rufe der Hirten, das Spiel von hell und dunkel übernehmen die Erzählung, in langen Einstellungen und ohne falsches Pathos für dieses unberührte Italien. Die Menschen, die Tiere, der Wind, das Licht – die Naturelemente – werden bei Frammartino zu den Elementarteilchen des Kinos.
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Anders als Werner Herzog mit „Die Höhle der vergessenen Träume“ sucht Frammartino, im Gegensatz auch zu den Forschern, denen der Film gewidmet ist, da unten keine Antworten. Der Weg ist das Ziel, so lakonisch, doch keineswegs banal, hört der Film auf: ein Leben endet – wie auch die Höhle bei 683 Metern (und damit in den Sechzigern die dritttiefste der Welt). Die Forscher stehen ratlos vor einer Felswand. Nicht immer muss das Kino Erkenntnisse liefern, dieser Abstieg ist trotzdem eine lohnenswerte Reise.
Ein anderer Film über das Kino – diesmal nicht im übertragenen Sinn, sondern buchstäblich – ist die Komödie „Competencia oficial“ des argentinischen Regieduos Gastón Duprat und Mariano Cohn. Ein Industrieller will sich zum 80. Geburtstag ein Denkmal setzen, neben einer Brücke soll es auch ein Film sein. Als Regisseurin wird die exzentrische Lola Cuevas (Penélope Cruz) angeheuert, die Hauptrollen übernehmen Hollywoodstar Félix Rivero (Antonio Banderas) und Theatergrande Iván Torres (Oscar Martínez).
Für Duprat und Cohn ist es nicht der erste Film, der Witzchen über das Verhältnis von Hoch- und Popkultur reißt – und über Künstleregos. Mit Cruz und Banderas, erst ihr zweiter gemeinsamer Film, haben sie aber zwei Stars, die beträchtliche Wege zu gehen bereit sind, um sich zum Affen zu machen: ihre Frisur, seine Hemden, eine dramatische Szenenprobe unter einem tonnenschweren Felsen – „Competencia oficial“ ist ein Crowdpleaser, inklusive Venedig-Seitenhieben.
Einige Filme gehen ins Dunkel einer Höhle; anderen wiederum genügen sich darin, im Glanz ihrer Stars zu strahlen.