Haare und Holzkohle

Die Positions Art Fair ausgerechnet im Jubiläumsjahr der Berlin Art Week eine Woche zuvor als „Ouvertüre“? Das lässt stutzen. Doch wenn die weltweit größte und mächtige Art Basel einen Flügelschlag macht, löst das auch in Berlin, wennschon kein Chaos, so doch Bewegung aus. Ein zu nahes Timing mit der pandemiebedingt in den Herbst verschobenen Art Basel hätte Ausstellende wie Sammler:innen in Konflikte gebracht.

Nicht zuletzt aber auch das Positions-Team um Kristian Jarmuschek und Heinrich Carstens. Denn nach der Paper Positions in Berlin Ende August folgte eine Woche später eine Hamburger Ausgabe, und aus den Tempelhofer Hangars geht es dann eben nach Basel, wo Jarmuschek und Carstens mit der Paper Positions Basel eine der insgesamt vier Trabantenmessen eröffnen. Im Oktober dann ruft München. Auf die Frage, ob das nicht ein wenig atemlos sei, sagt Co-Direktor Carstens euphorisch: „Die Sammler sind so ausgehungert, und unser Konzept fruchtet!“

Tatsächlich hat der exklusive Rundgang „Behind the Scene“ bereits am Vorabend der Eröffnung erste Früchte getragen. Die Leipziger Galerie Kleindienst konnte eine große Fotografie (14.000 Euro) der in Berlin lebenden Künstlerin Anett Stuth in eine Sammlung aus Nordrhein-Westfalen veräußern. Wie bereits im Vorjahr ist der Stuttgarter Galerist Thomas Fuchs begeistert. Lediglich ein einziges seiner Bilder des Südkoreaners Yongchul Kim ist noch verfügbar, ein grimmig-spießiger „Deutscher Hasenjäger“ (14.000 Euro), Werke des US-Malers Logan T. Sibrel sind ausverkauft und ein floraler „Steppengarten“ frisch aus dem Atelier von Rainer Fetting hat für 69 000 Euro einen Käufer gefunden, während zwei weniger gefällige Motive der Serie „Shootingstar (Jana)“ des einst Jungen Wilden für 83.000 respektive 94.000 Euro noch verfügbar sind.

110 Galerien aus 16 Ländern präsentiert die Positions in ihrer achten Ausgabe und bespielt wie im Vorjahr zwei Hangars, allerdings die westlich gelegenen Hallen 5 und 6, die nicht nur besser zugänglich sind, sondern mit insgesamt rund 10.000 Quadratmeter ein Fünftel mehr an Fläche bieten. Eingelassen werden in die ehemaligen Flugzeuggaragen mit ihrem rauem Charme trotz des luftigen Charakters maximal 1000 Besucher:innen gleichzeitig. Zwar verfügen die Hangars über eine Belüftungsanlage, nicht aber über die aufgrund der Pandemie vorgeschriebene Entlüftung.

Dabei sind viele der Kojen und die Hallen insgesamt angenehm großzügig gestaltet, was nicht zuletzt, so Kristian Jarmuschek, „dank der Unterstützung durch Neustart Kultur“ gelungen sei. Das Programm erstattet den Galerien 70 Prozent der Standgebühren, und Kulturstaatsministerin Monika Grütters ließ es sich nicht nehmen, das Ergebnis beim Rundgang zur Eröffnung persönlich in Augenschein zu nehmen.

Konkrete Kunst oder lieber Max Pechstein?

Wie stets ist besonders junge Malerei stark vertreten. Bei Feldbusch Wiesner Rudolph mit Anna Nero oder Paul Pretzer, bei Studio 4 mit Clara Brörmann und mit Jurgis Tarabilda bei Meno nisa aus Vilnius. Kai Hilgemann zeigt farbige Abstraktionen des rumänischen Künstlers KITRA und die Galerie Brusberg Heike Ruschmeyers dunkel-verstörende Bilder um Attentate. Eher skurril-politisch sind die Ölbilder von Kerstin Serz bei Kleiner von Wiese. Mit einem „Muscheltaucher“, der in einer Jugendstilvase verschwindet oder Knochen, die rund ums KPM-Porzellan „Domestikation“ versprechen.

Liebhaber der konkreten Kunst kommen am Stand von drj art projects auf ihre Kosten. Galerist Matthias Seidel präsentiert unikate Serien aus der Edition Rote Insel von Nils-Simon Fischer, Yasuaki Kuroda oder Käthe Kruse im meist dreistelligen Eurobereich. Martin Kudlek aus Köln rückt mit Papierarbeiten von Oskar Holweck einen der weniger prominenten Künstler aus dem Zero-Umfeld ins Licht (4200-16.000 Euro). Nur die klassische Moderne vermisst man. Der Hamburger Kunsthandel Thole Rotermund ist zumindest mit ausgewählten Papierarbeiten präsent. Darunter ein Stillleben von Karl Schmidt-Rottluff und Hermann Max Pechsteins beeindruckende „Woge“ (je 68.000 Euro). Berlin sei kein einfaches Pfla ster, „aber wir zeigen hier die Basis der zeitgenössischen Kunst“, so Rotermund. „Allmählich finden wir auch einen jugendlichen Bekennerkreis!“

Flankiert wird er von Kunkel Fine Art aus München, wo ein Aquarell von Emil Nolde sowie eine Tuschezeichnung von Ernst Ludwig Kirchner zwischen Fotografien von Gilles Lorin präsentiert werden. Der 1973 geborene Franzose fertigt Stillleben und Porträts als Palladium-Abzüge (ab 1800 Euro), und Kunkel zeigt, wie gut Klassisches und Zeitgenössisches selbst in verschiedenen Medien miteinander kommunizieren.

Eine der spannendsten Entdeckungen ist die kolumbianisch-niederländische Malerin Raquel van Haver, der eine Sonderschau gewidmet ist. Großformatige Porträts und Geschichten rund um die weltweite Community in ihrer Amsterdamer Nachbarschaft. Die 1989 in Bogota geborene Künstlerin versteht sich als „dokumentarische Malerin“. Diverse kulturelle Einflüsse mischt sie ebenso kühn wie ihre Farben: Öl trifft auf Holzkohle und Harz, vermengt mit Haaren, Teer oder Asche. Ihre erdigen und pastosen Überlagerungen verleihen den Bildern eine beeindruckende Oberflächenhaptik, die wie textile Reliefs anmutet, und einen unverwechselbaren Stil (5000-30.000 Euro). Vertreten wird van Haver, die bereits mit Einzelausstellungen im Stedelijk Museum und im Bonnefantenmuseum gezeigt wurde, von der Aachener Galerie Artco, die nach der Messe mit van Haver ihre Berliner Dependance eröffnet.

Nicht nur ob der Sektion Fashion Positions, die zum dritten Mal Mode-Labels aus Berlin präsentiert, fallen verstärkt auch textile Werke von Künstler:innen ins Auge. Zu den stärksten gehören Claudy Jongstras irritierende Häutungen unter dem Titel „Woven Skin“ (Galerie Fontana, je 15.000 Euro), daneben gibt es „Faltenbilder“ von Anne Jungjohann (Kleiner von Wiese), Großformate aus gefilzter Wolle des 1980 geborenen Malers Marlon Wobst (Studio 4) oder Wandteppiche der estnischen Künstlerin Laura Pold, Preisträgerin des diesjährigen Claus-Michaletz-Preis für osteuropäische Kunst der Secco Pontanova Stiftung, die daneben auch die Anreise von sechs Galerien aus Lettland, Litauen, Estland und Polen unterstützt hat.

Positions Art Fair, Flughafen Tempelhof Hangar 5+6, Tempelhofer Damm 45, bis 12.9. positions.de