Warum der Para-Schießsport fasziniert
Es war das erste Gold für die Sportschütz*innen seit den Paralympics 2004 in Athen: Die deutsche Athletin Natascha Hiltrop landete auf dem ersten Platz in ihrer Paradedisziplin. Diese ist: R3 Luftgewehr liegend, gemischt, in der Startklasse (SH1). Klingt kompliziert? Ist es auch. Hier ein Versuch der Aufklärung. Was macht diese Sportart wirklich aus und welche Regeln gibt es zu befolgen?
Wie funktioniert der Para-Schießsport?
Wie in allen Sportarten geht es auch beim Schießen hauptsächlich darum, die persönliche Bestleistung im richtigen Moment abzurufen. Wer ist am treffsichersten und bewahrt Ruhe und Konzentration? Die Zielscheibe ist in mehrere Ringe unterteilt, wobei der Zehn-Punkte-Kreis in der Mitte weitere vier Ringe beinhaltet. Die höchstmögliche Punktzahl pro Schuss ist 10.9. Damit wird versucht, einen Gleichstand am Ende zu vermeiden. Geschossen wird in drei unterschiedlichen Positionen. Im Liegen, stehend oder im Sitz.
Auf die Disziplin kommt es an
Wie üblich im Para-Sport, werden auch die Athlet*innen im Sportschießen klassifiziert. Es wird festgelegt, welche Hilfestellungen ihnen gewährt werden. In der Klasse SH1 schießen Sportler*innen mit Einschränkungen der Beine. Sie halten die Sportwaffen selbst. Schütz*innen der Klasse SH2 haben Beeinträchtigungen der oberen Extremitäten und greifen auf Gewehrauflageständer zurück, welche über eine Feder individualisiert sind. Damit sollen möglichst gleiche Bedingungen geschaffen werden.
Die Sportgeräte
Die zwei bekanntesten Sportwaffen sind die Luft- und Kleinkalibergewehre, sowie die Kleinkaliberpistole. Um mit einem Luftgewehr schießen zu dürfen, reicht ein Alter von zwölf Jahren. Dann kann unter Aufsicht eines Erwachsenen die Zielscheibe erstmalig ins Verzier genommen werden. Um eine Kleinkaliberwaffe führen zu dürfen und um später selbst in den Besitz eines solchen Geschosses zu kommen, erfordert es aber ein bisschen mehr.
Die nötigen Qualifikationen
Für Tim Focken und Bernhard Fendt, Profis aus dem deutschen Para-Sportschützen-Team, ist es wichtig, eine solche Waffe zu besitzen. So ersparen sie sich viele Umstände. Durch die sogenannte Waffenbesitzkarte (WBK) ist es ihnen gestattet, ihre Waffe auch außerhalb der Trainingszeiten mit sich zu führen. Somit sind sie nicht auf Trainer*innen angewiesen und können selbst das Sportgerät zu ihren Wettkämpfen transportieren. Damit der Schießsport sicher bleibt, gibt es aber zurecht viele Regeln. Für die WBK muss man mehrere Prüfungen durchlaufen und ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. „Erst wenn man alles erfüllt hat und nachgewiesen werden kann, dass man mit den Waffen und Munition umzugehen weiß, dann kriegt man eine solche Karte ausgestellt“, sagt Focken. Der Anspruch darauf verfällt, wenn man mindestens drei Jahre nicht als Schütz*in aktiv gewesen ist.
Ist es nicht gefährlich, auch Sportwaffen in Privatbesitz zu geben?
Kommt es zu Gewalt- oder Tötungsdelikten im Schusswaffengebrauch, gibt es aber immer wieder Fälle, in denen die Sportgeräte von Sportschütz*innen missbraucht werden. Auch beim rassistischen Attentat von Hanau war das der Fall. Durch Überprüfungen seitens der Behörden ist ein gewisses Maß an Sicherheit hergestellt. Niemand, der Gefahr läuft das Sportgerät als Schusswaffe zu missbrauchen, erhält eine WBK. Zumindest in der Theorie. Von Seiten der Schützenvereine ist das Führen einer Sportwaffe nur für Wettkämpfe und zu Trainingszwecken erlaubt. Dafür werden gewisse Richtlinien aufgestellt, die vom Deutschen Schützen Bund festgelegt werden. Aus sportlicher Sicht wird die Waffe also immer ein Sportgerät bleiben. Das und nichts anderes soll der Schießsport vermitteln.
Was fasziniert am Schießsport?
Ganz gleich ob im Sitzen, stehend, oder im Liegen – Schießsport bietet einige Vielfalt. Mehr als nur schwarze Ringe auf einer Zielscheibe. Zudem ist die Sportart einer der wenigen im olympischen und paralympischen Spektrum, in dem Frauen und Männer großteilig gemeinsam an den Start gehen. Dennoch wird von der breiten Gesellschaft an der großen Herausforderung des Sports gezweifelt. „Mein Sohn sagte mal: Das ist doch gar kein richtiger Sport. Man sitzt und liegt ja nur rum“, erzählt Focken. Auch wenn es weniger körperliche Anstrengung erfordert als manch andere Sportart, so ist die mentale Herausforderung umso größer. Und wer vielleicht mal im Schützenverein aktiv war, weiß wie schnell man ins Schwitzen gerät. Fendt begeistert am Schießsport am meisten „die Ruhe und die Konzentrationsfähigkeit, die man hier erbringen muss. Man kann dann die Umgebung ausblenden.“ Auch Kleinkaliberschütze Focken ist von der psychischen Herausforderung überzeugt: „Man muss sich immer wieder neu auf die Umgebung einstellen, weil die Gegebenheiten nie die gleichen sind.“
Das Interessante am Schießen ist vor allem die mentale Stärke, die hinter dem taktischen Vorgehen der Schütz*innen steckt. Ganz nach dem Motto: der Trigger und Du. Fendt und Focken sind der Meinung, dass man ihre Begeisterung für das Sportschießen erst nachvollziehen kann, wenn man sich selbst einmal an einer Sportwaffe ausprobiert hat. Focken gesteht aber auch: „Mir war der Schießsport zunächst auch sehr fremd. Aber ich kann jedem nur empfehlen es einmal auszuprobieren.“
Was erwarten die Deutschen Profis?
Die Sportschütz*innen des Team Deutschland freuen sich auf die noch kommenden Wettkämpfe in Tokio: „Ich bin gespannt. Nach einer so langen Zeit, endlich mal wieder ein richtiger Wettkampf. Es sind viele Konkurrenten am Start, was mir in letzter Zeit immer sehr gefehlt hat“, sagt Bernhard Fendt. Wenn die beiden es ihrer Teamkollegin Natascha Hiltrop gleichtun und in einen finalen Lauf einziehen, dann bestehen Aussichten auf eine Medaille. Mit einem Erfolg gelingt es ihnen vielleicht, mehr Menschen für ihren Sport zu sensibilisieren und noch mehr öffentliche Aufmerksamkeit auf ihren Sport zu lenken.
Dieser Text ist Teil der diesjährigen Paralympics Zeitung. Alle Texte unserer Digitalen Serie finden Sie hier. Alle aktuellen Entscheidungen und Entwicklungen lesen Sie in unserem Paralympics Blog.