„The Zone of Interest“ im Kino: Der Klang von Auschwitz

Wie klingt das absolute Böse? Und wie kann der Mensch sein Gehör auf dieses Geräusch einstellen, für das es doch keine objektive Referenz gibt? Jonathan Glazer beginnt seinen Film „The Zone of Interest“ also mit einem Experiment: minutenlanges Schwarzbild, über dem eine dräuende, infernalische Sinfonie der Musikerin Mica Levi wie ein akustischer Monolith steht.

Dieser Soundscape fungiert als Kammerton für den „Ambient Evil“, wie der britische Regisseur die Tonspur seines Dramas über die Familie des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß genannt hat. Irgendwann erklingt in dem Dröhnen ein Vogelzwitschern, und als die Kamera schließlich aufblendet, sieht man eine Familie beim Sonntagsausflug in einem sommerlichen See-Idyll.

Infernalische Geräuschkulisse

So etabliert Glazer gleich zu Beginn von „The Zone of Interest“, der gerade für fünf Oscars, darunter als bester Film, nominiert ist, sein Prinzip einer kognitiven Dissonanz: die Unstimmigkeit zwischen dem, was das Auge sieht, und dem Gefühl, welches Geräusche in uns hervorrufen. Denn der „Paradiesgarten“ der von Sandra Hüller gespielten Hedwig Höß, in dem Bienen summen und die Kinder im Planschbecken spielen, grenzt an die Außenmauer des KZ Auschwitz-Birkenau.

Über dem spießigen Suburbia-Eigenheim liegt eine unerträgliche Geräuschkuppel aus brüllenden Wärtern, Hundebellen, Schüssen, den verzweifelten Schreien der Insassen, dem Donnern der Öfen und einfahrenden Zügen. „Unseren Lebensraum“ nennt Hedwig gegenüber ihrem Mann (Christian Friedel) dieses Anwesen, das nachts vom Feuer der Öfen rot erleuchtet wird.

Regisseur Glazer hat in Interviews stets betont, dass „The Zone of Interest“, einer sehr freien Adaption von Martin Amis’ gleichnamigem Roman, für ihn aus zwei Filmen besteht: einen zum Hören, einen zum Sehen. Diese beiden Wahrnehmungsebenen dürfen sich in der filmischen Erfahrung aber nie zu einer äußeren Wirklichkeit fügen, in der man sich im Kino so bequem verlieren kann. „The Zone of Interest“ will verstören. Der Trick besteht darin, dass Glazer sein Publikum an diesen Film fesselt, zu dem es im Lauf der 106 Minuten aber geradezu körperliche Abwehrreaktionen entwickelt.

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Denn die Verdrängungsleistung ist unmenschlich. Im Garten feiert die Höß-Familie den Geburtstag des Vaters, während auf der anderen Seite der Mauer Schießbefehle ertönen. Glazer registriert diese Wirklichkeit ungerührt. „Hörst Du die Rohrdommel?“, fragt Höß einen seiner Söhne bei einem Ausflug in die Natur – während der infernalische Lagerlärm alles übertönt. Die latenten Bilder zwischen Kinobild und Filmsound manifestieren sich erst später, im Kopf des Betrachters. Denn eigentlich besteht „The Zone of Interest“ sogar aus drei Filmen; der dritte beginnt, nachdem man das Kino verlassen hat.

Im Modus einer Reality-TV-Show

Dabei mutet der Naturalismus von Glazers Film fast abstrakt an. Die Diskrepanz zwischen Ton und Bild erzeugt eine ständige Distanz zu den Figuren; Psychologie und die Gefahren einer „Einfühlung“ vermeiden Glazer, sein Kameramann Łukasz Żal und Sounddesigner Johnnie Burn durch einen rigiden Aufbau. Es gibt im ganzen Film nur eine einzige Nahaufnahme, weil jede Inszenierung, jede Kameraeinstellung automatisch eine emotionale Reaktion hervorrufen würde.

Hedwig Höß’ alltägliche Verrichtungen im Haus wurden von zehn fixierten, kontinuierlich laufenden Kameras festgehalten. Sie simulieren den Überwachungsmodus einer Reality-TV-Show: wenn sie vor dem Spiegel den Pelzmantel einer jüdischen Insassin anprobiert, beim Kaffeeklatsch mit den anderen Ehefrauen der SS-Kommandantur.

„The Zone of Interest“ besteht aus starren Einstellungen, durch die Hüller sich in gedankenloser Geschäftigkeit wie in einem Rattenkäfig bewegt. Die grausame Wirklichkeit wird dabei nicht einfach ausgeblendet, sie verfasst vielmehr eine eigene Realität im moralischen Vakuum. „Die Juden sind da hinten hinter der Mauer“, erklärt Hedwig einmal der Mutter (Imogen Kogge), die zu Besuch nach Auschwitz kommt.

Deutsches Eigenheim als Albtraum. Hedwig Höß (Sandra Hüller) hat an den Mauern von Auschwitz ihren „Paradiesgarten“ angelegt.
Deutsches Eigenheim als Albtraum. Hedwig Höß (Sandra Hüller) hat an den Mauern von Auschwitz ihren „Paradiesgarten“ angelegt.

© LEONINE Studios

Hüller fühlt sich in diese Figur nie ein. Sie eignet sich Hedwig Höß eher an wie ein schlecht sitzendes Kostüm: ein verlebter, von der Landarbeit deformierter Körper, dem schon mit Mitte dreißig das Gehen Mühe bereitet. Es ist eine bravouröse Leistung. So schleppt sich Hedwig Höß mehr durch die Räume; aber nicht gebückt von der Schuld, sondern körperlich gezeichnet von den Opfern für das deutsche Volk.

Familienvater und Monster

„Rudi nennt mich die Königin von Auschwitz“, erzählt sie der Mutter einmal stolz. Ihr Kampfeswille wird erst geweckt, als Höß mitsamt seiner Familie von Polen nach Oranienburg versetzt werden soll. Für sie bedeutet seine Beförderung eine Verbannung aus dem Paradies. Hedwig Höß widersetzt sich ihrem Mann.

Christian Friedel ist mit seiner teigigen Körperlichkeit das komplette Gegenteil Hüllers – und davon, wie sich das Kino einen schnittigen SS-Befehlshaber vorstellt. Rudolf Höß hat in seinen Gefängnisnotizen selbst immer wieder seine Weichheit als Ausrede benutzt; er habe nie um eine Versetzung gebeten, verteidigte er sich, weil er vor den Vorgesetzten nicht als schwach dastehen konnte. Er wollte nur seine Familie schützen.

In „The Zone of Interest“ kommen die Rolle des liebenden Familienvaters und des sadistischen KZ-Kommandanten – in Erinnerung an „Männerphantasien“, Klaus Theweleits Persönlichkeitsstudie des autoritären SS-Charakters – nie zur Deckung.

Hedwig Höß (Sandra Hüller) erklärt ihrem Mann (Christian Friedel) dass sie ihr Paradies nicht verlassen wird.
Hedwig Höß (Sandra Hüller) erklärt ihrem Mann (Christian Friedel) dass sie ihr Paradies nicht verlassen wird.

© LEONINE Studios

Unter Höß wurde die Effizienz der Tötungsmaschinerie Auschwitz ab 1940 vorangetrieben. „Dauerbetrieb möglich!“, lautet einmal das Fazit eines Ingenieurs, der Höß in seinem Paradies aufsucht. Solche unglaublichen Sätze fallen ständig, während die Kamera nüchtern weiterläuft. Nachts schläft der Bürokrat der Vernichtung wie ein Baby, aber auf einem Nazi-Empfang arbeitet sein Gehirn pausenlos: „Ich habe darüber nachgedacht, wie ich alle im Ballsaal vergasen werde“, erzählt er Hedwig am Telefon.

In der Frage der Darstellbarkeit des Holocaust, die im Kino bis zu Alain Resnais’ und Michel Bouquets „Nacht un Nebel“ (1956) und „Kapo“ von Gillo Pontecorvo (1960) zurückreicht, liegt Glazer auf einer Linie mit dem 2018 verstorbenen „Shoah“-Regisseur Claude Lanzman.

Die Lösung, die er mit „The Zone of Interest“ anbietet, ist so intellektuell wie filmisch: Er arbeitet nicht mit der Schaulust des Publikums, sondern mit dessen Imagination. Die Tonspur ist konkret und bleibt dennoch abstrakt. Die einzige Aufnahme aus dem Konzentrationslager zeigt Höß in einer Aufsicht in extremer Naheinstellung, während im Off ein Kind weint. Es geht Glazer nicht um die Historisierung des Holocaust, sondern im Gegenteil um dessen Vergegenwärtigung.

Die Innenräume von Auschwitz-Birkenau zeigt „The Zone of Interest“ erstmals nach einem Zeitsprung: Im Epilog bereiten Mitarbeiterinnen die Öffnung der heutigen Gedenkstätte für die Besucher vor. Hier nahm die Idee für Glazers Film ihren Ausgang. Es gibt keinen eindrücklicheren Ort, um ihn – hier in der Gegenwart – zu beenden.