Sprachwissenschaftler Jürgen Trabant wird 80: Bezaubert vom Feuerwerk fremder Laute

Frühling 1957. Gemeinsam mit seinem Freund dreht der 14 Jahre alte Jürgen Trabant seine Runden im Frankfurter Stadtwald. „Moi, foi!“, rufen die Jungs auf Französisch. Und auch die Nasale, wie sie in „un! bon! vin!“ vorkommen. Und: „joie!“, Freude. Ein Feuerwerk fremder Laute in der Freude des Lebens. Der Freude, der Enge des Deutschen zu entkommen, das die Nazis in der Welt so laut gebellt hatten, dass es für den Kontakt zur Welt nicht mehr geeignet war.

Das Französische sei seine Welt-Sprache geworden („ma langue mondiale“), schreibt Jürgen Trabant in seiner wunderbar persönlichen Geschichte über „Le génie de mon français“. Nichts sei für ihn wichtiger als die Begegnung mit ihr gewesen.

Sprachen sind Jürgen Trabants Passion. Nicht, wie er selbst es für Jacques Derrida einmal beschrieben hat, im Leiden an der Sprache. „Ich habe nur eine Sprache, und die ist nicht die meinige“, lautete die Schmerzformel des in Algerien als jüdischer Franzose groß gewordenen Derrida, derzufolge er sich Zeit seines Lebens gegen die übermächtige Sprache der Metropole Paris zu behaupten suchte. Im Gegenteil, Trabant entdeckt sie als befreiendes Glück der Vielsprachigkeit, als Pfingsten der Begegnung.

Als Kind im kriegszerstörten Frankfurt groß geworden, versprüht ihm das Amerikanische aus dem AFN-Radio den „hinreiszenden“ Klang von Lässigkeit, Macht, Welt. Das Französische aber, sobald es im Unterricht erklingt, wird seine Erziehung des Herzens. Die Erforschung der erkenntnisbildenden und gesellschaftlichen Bedeutung der Sprache in der entstehenden modernen Nation – von Dante, der Renaissance über Aufklärung und Revolution bis hin zum Naturalismus der Gegenwart – wird einen großen Teil seines Lebenswerkes ausmachen.

Sprachen sind der Klang der Welt. Mit Wilhelm von Humboldt, Trabants Schutzheiligem, tönen sie im Widerklang aus dem Mund des anderen, des stets präsenten Du, das uns aus uns befreit („Apeliotes oder Der Sinn der Sprache“). So färben sie unser Verständnis von uns und der Lebenswelt.

Daher hat Trabant der Humboldtsche Begriff von den Sprachen als „Weltansichten“ nicht stören können, obwohl seine Liebe dem Schall, dem Humboldtschen Wind, ja dem Rhythmus gilt: Zentralbegriff der Sprachtheorie seines Freundes Henri Meschonnic.

Er ist gegen einen haltlosen Rationalismus

Sprachreflexion war bei dem großen Pädagogen Trabant, dessen Seminare Ereignisse europäischer Kulturreflexion waren, immer auch poetische Klanglust. „IUS!“ – unvergessen, wie das Göttliche saalfüllend auf die Besucher einer Tagung über die Höhlen, aus denen die Menschheit einst kam, niederfuhr. Giambattista Vico, dessen erste Fassung der „Neuen Wissenschaft“ Trabant gerade in deutscher Erstübersetzung vorgelegt hat, machte in diesem Blitz und Donnergrollen jene Urerfahrung aus, der den Menschen als Jupiter in die Knochen fuhr.

Auch die riesenhaften Vorväter, die die Frauen in Höhlen zerrten, um sich mit ihnen fortzupflanzen, verstanden in diesen Urphänomenen, dass ihnen etwas vorausging. Die anthropologischen Bild- und Sprechakte, das Verhältnis von Schema, Bild und Sprache, hat Trabant in den letzten Jahren in einer Gruppe gemeinsam mit Horst Bredekamp an der Humboldt- Universität weiter erforscht.

Dass aus den Höhlen Welten wuchsen, die ihr je eigenes Sprechen entfaltet haben, hat Trabant stets gegen die Vorstellung der politischen Zentren verteidigt, alles, was zu sagen ist, in sich zu verkörpern. Er ist gegen einen haltlosen Rationalismus, gegen den blinden Universalismus, gegen ein „globalesisches“ Englisch, das ihm die „merveilleuse variété de l’esprit“ (Leibniz) mehr denn je zu zerreiben scheint.

Dabei ging es ihm nie um Purismus, Reinheit und eine spießige Verteidigung der bundesrepublikanischen Provinz, für deren kosmopolitische Weitung und Versöhnung mit Europa sein eigenes Werk so viel geleistet hat. Es führte ihn auch selbst auf zahlreiche große Bühnen des Globus: nach Stanford, Neapel und natürlich immer wieder nach Paris.

Er ist ein Meister der kleinen Form, des Essays, des Erzählens. Darin liegt seine Verbindung zum Freund Umberto Eco, den er als Sprachtheoretiker mit der Übersetzung der „Einführung in die Semiotik“ 1972 in Deutschland bekannt machte. Die Kultursemiotik sollte sich in Deutschland nicht ähnlich etablieren lassen, aber mit Trabant wuchs sie in der lebendigen Umgebung am Zentrum für Historische Anthropologie der Freien Universität.

Überhäuft mit Orden und Ehren, ist er immer ein großer Leser geblieben, ein Liebhaber des Worts und einer Gelehrsamkeit, die heute so nicht mehr einzuholen ist. Am Dienstag wird er 80 Jahre alt.

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