Mona Lisa trägt Schleife

Ihr rundes Gesicht mit dem etwas grünlichen Teint füllt frontal fast das gesamte Gemälde aus. Die großen dunklen Augen blicken eine Spur astigmatisch, der feine Mund lächelt das bekannte rätselhafte Lächeln. Doch die Mona Lisa von Fernando Botero trägt eine Schleife im Haar und hat kleine Kinderhändchen. Fernando Botero malte „Mona Lisa, Age 12“ 1959 in fast quadratischem Zwei-Meter-Format als Zwölfjährige.

Er war 27 Jahre alt, gerade in New York angekommen und wurde von seinen Künstlerkollegen verachtet. Denn er malte figurativ. Seine Rettung war Dorothy C. Miller, die erste Kuratorin des Museum of Modern Art, die 1961 genau dieses Bild für das Museum erwarb. Bis zu seiner ersten Galerieausstellung 1972 bei Marlborough habe ihn die gesamte amerikanische Kunstszene wie einen Leprakranken behandelt, erinnert sich Botero.

Sein populäres Werk polarisiert

Europa dagegen lädt den im kolumbischen Medellín in der Provinz Antioquia geborenen Künstler schon 1970 zu einer Tournee von 80 seiner Gemälde durch Berlin, Hamburg, Bielefeld, Düsseldorf und Baden-Baden ein. Damals hat er bereits zu seinem Signature-Style gefunden, der das allgemeine Kunstpublikum in Scharen anlockt, Insider und Kritiker jedoch die Stirn runzeln lässt.

Bis heute, und obwohl Fernando Botero seit den achtziger Jahren zu den weltweit populärsten und kommerziell erfolgreichsten Künstlern zählt, spaltet sein Werk die Betrachter.

Denn es folgt ausschließlich seinem eigenen Kanon, einem unverwechselbaren Vokabular aus voluminös fülligen Figuren und Objekten, in vielen Schichten aufgetragenen, satt leuchtenden Farben und einer Motivik, die es nicht zuletzt der präkolumbianischen Kunst seiner Heimat und der folkloristischen Kultur Süd- und Lateinamerikas verdankt.

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Botero selbst hat seinen hermetisch sich selbst genügenden Stil damit erklärt, dass er seine „Authentizität“ finden musste. „Wir Lateinamerikaner wurden jahrzehntelang von den USA und Europa kolonialisiert. Wenn Sie aus einem Land der damals so genannten Dritten Welt stammen, müssen Sie ihre eigene Universalität finden. Ich suchte künstlerisch sowohl meine Wurzeln als auch Globalität.“

Er fand sie, wie er mehrfach erzählte, in einer „Sprache der Plastizität. Eines Tages zeichnete ich eine Mandoline und machte die Resonanzöffnung im Instrument proportional viel zu klein. Plötzlich wölbten und monumentalisierten sich die Formen, sie dominierten ihren Umraum. Diese wilde Dynamik wies mir den Weg“.

[Galerie Gmurzynska, Zürich, bis 14. Mai. www.gmurzynska.com]

Wie virtuos und delikat Fernando Botero Fülle in allen Formaten malte und zeichnete, lässt sich in der Züricher Galerie Gmurzynska studieren. Die über zwanzig Aquarell- und Bleistift-Miniaturen entstanden überwiegend 2021. Mit ihnen greift der Künstler, der am 19. April seinen 90. Geburtstag feiert, seine berühmten Sujets erneut auf – hingegossene Akte, Mandoline und Geige spielende Musiker, eine Frau vor dem Spiegel, die sich die Haare kämmt, Männer, die sich zuprosten, ein flirtendes und ein nackt tanzendes Paar.

Jedes dieser jeweils 41 mal 31 Zentimeter messenden Hoch- und Querformate (Preis pro Blatt 85 000 CHF) zeigt, mit welcher Meisterschaft der Künstler sein Universum sinnlicher Lebensfreude mit ebenso sanften wie präzisen Konturen und betörenden Farbakzenten noch einmal Revue passieren lässt.

Sein Gesundheitszustand ist nicht mehr der beste

„Boteros Gesundheitszustand ist nicht mehr der beste“, sagt Lucas Bscher, Partner der Galerie. Auf ihn wirken die starken und sensiblen Arbeiten wie ein Vermächtnis. Gleichzeitig sind sie Beweise einer unermüdlichen Kreativität, die Botero selbst so beschreibt: „Ich arbeite immer, weil ich bisher noch nichts gefunden habe, das aufregender wäre als der schöpferische Prozess.“ Seit über einem Jahrzehnt vertritt die Galerie Gmurzynska den Künstler, in sieben Soloausstellungen präsentierte sie Gemälde wie auch Skulpturen.

Allerdings entstehen seit rund zehn Jahren keine Skulpturen mehr, und seit kurzem auch keine Gemälde. Umso höher steigen seit Jahren die Preise. So erzielte Christie’s am 11. März in seiner Lateinamerika-Auktion, in der zahlreiche Werke Boteros zum Aufruf kamen, 4,3 Millionen Dollar für die über drei Meter hohe, 1999 entstandene Bronze „Man on a Horse“. Auch Gemälde des Künstlers werden immer häufiger deutlich über der Millionengrenze zugeschlagen.

Seine Karriere ist einzigartig

Boteros Karriere ist einzigartig in ihrer kontinuierlichen künstlerischen Qualität. Sohn eines Verkäufers und einer Hausfrau, schickte ihn sein Onkel mit zwölf auf eine Matadoren-Schule, auf der er vor allem Toreros und Stierkämpfe skizzierte. Mit 16 nimmt er an einer ersten Gruppenausstellung teil, arbeitet anschließend als Bühnenbildner für eine spanische Theatergruppe und gewinnt 1951 den zweiten Preis bei einem Künstlersalon in Bogotá.

Boteros Ausnahmebegabung ist offensichtlich. Er beschäftigt sich mit den mexikanischen Muralisten Diego Rivera und David Alfaro Siqueiros und reist bald nach Madrid zu Goya und Velázquez, anschließend nach Florenz. Hier entdeckt er Piero della Francesca und die Renaissance und weiß, welcher Art von Genialität er nacheifern will: jener, die Figur, Volumen, Farbe und Dynamik gewissermaßen für die Ewigkeit einfriert. So wird jedes Werk zu einer Ikone, einer Hommage an archaisch zeitlose Themen – Musik, Tanz, Feste, Liebe und Lust. Mit Boteros Worten: „Stil ist die Identität eines Künstlers“.

In einem Interview zu seinem 80. Geburtstag meinte er auf die Frage, woher er seine schier unerschöpfliche Energie nähme: „Was mich weiterarbeiten lässt, ist die Neugier, wie mein nächstes Gemälde werden wird. Und meine unendliche Liebe für die Kunst. Ich fühle mich energetisch immer noch wie 30. Also hoffe ich, dass ich weitermachen kann und eines Tages mit einem Pinsel in der Hand sterben werde”. Eines hoffentlich möglichst fernen Tages.