Mit viel Fantasie
Anfang dieser Woche hat eine Mittelstufenklasse aus der benachbarten Bildungsstätte der Sportjugend kurz beim Training des Fußball-Bundesligisten Hertha BSC vorbeigeschaut. Ein Schüler wunderte sich: „Das ist doch nicht die erste Mannschaft, oder?“
Die Frage war durchaus berechtigt – zumindest für jemanden, der sich Ende Juli das „Kicker“-Sonderheft gekauft hat und sich das Mannschaftsfoto von Hertha BSC genau eingeprägt hat. Von den 23 Spielern, die darauf zu sehen sind, standen am Dienstag exakt 11 auf dem Trainingsplatz.
[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können]
Bei Hertha ist in diesem Sommer einiges passiert. Auf den Umbruch der Vorsaison folgte gleich der nächste, und allein in der Woche vor Transferschluss sind noch mal vier neue Spieler hinzugekommen. Welche Perspektive haben sie bei Hertha? Und welche Rollen sind ihnen an diesem Sonntag im Auswärtsspiel beim VfL Bochum zugedacht?
OLIVER CHRISTENSEN
Der Torhüter ist so, wie man sich einen typischen Dänen vorstellt: offen, freundlich, kommunikativ. Und ehrgeizig noch dazu. Christensen, 22, hat zwar in der Schule fünf Jahre Deutsch gelernt, mit dem Sprechen hapert es trotzdem noch. Interviews gibt er bisher nur auf Englisch. Aber in spätestens vier Monaten will er es auf Deutsch versuchen.
Wie lange es dauert, bis er bei Hertha ein ernsthafter Kandidat für die Rolle des Stammtorhüters ist, dazu will sich Christensen nicht äußern. „Manchmal muss man warten“, sagt er. „Das ist okay für mich, ich habe Geduld.“
Immerhin rund drei Millionen Euro hat Hertha für ihn an Odense BK gezahlt. Da Rune Jarstein wegen der Spätfolgen seiner Corona-Erkrankung noch nicht zur Verfügung steht, wollte Trainer Pal Dardai einen weiteren Torhüter für den Fall haben, dass Alexander Schwolow ausfallen sollte. Und wenn Christensen perspektivisch noch ein bisschen Druck auf Herthas bisherige Nummer eins ausübt – umso besser.
„Oliver ist ein sehr guter Typ, er hat mich wirklich positiv überrascht“, sagt Dardai. „Er hat was.“ In Bochum wird Christensen, der ein A-Länderspiel für Dänemark bestritten hat, anstelle von Nils Körber als Ersatztorhüter auf der Bank sitzen.
JURGEN EKKELENKAMP
Jurgen Ekkelenkamp hat sein Erfolgserlebnis in dieser Woche schon gehabt. In seinem sechsten Einsatz für Hollands U 21 hat er erstmals getroffen. Beim 3:0-Sieg gegen Moldawien erzielte er kurz vor der Pause das 2:0. Das bestätigt die Eindrücke, die auch Pal Dardai bei der Sichtung der Best-of-Videos des offensiven Mittelfeldspielers gewonnen hat.
„Er hat alles, was man in der gegnerischen Hälfte braucht“, sagt Herthas Trainer. „Er ist ein torgefährlicher Spieler. Er hat auch die Qualität, den letzten Pass zu spielen. Das hat uns gefehlt.“ Ekkelenkamp ist für drei Millionen Euro vom Holländischen Meister Ajax Amsterdam gekommen. Stammspieler war er dort nicht, allerdings hat er bei Ajax eine exzellente Ausbildung genossen.
„Das ist eine sehr gute Investition“, sagt Dardai. „An ihm werden wir noch viel Freude haben.“ Ekkelenkamp ist passsicher, er hat eine saubere Technik, ein ausgeprägtes Gespür für den Raum und eine gute Vororientierung. „Das muss er nicht trainieren. Dafür ist er geboren“, sagt Herthas Trainer. „Aber man darf nicht vergessen: Er ist noch ein junger Spieler.“ In Bochum soll Ekkelenkamp zumindest im Kader stehen, „ihn von Anfang an spielen zu lassen, das wäre ein bisschen zu mutig“, findet Dardai.
MYZIANE MAOLIDA
Myziane Maolida hat in Frankreich einen großen Namen. Zumindest war das so, als er 2018 für zehn Millionen Euro von Olympique Lyon zu OGC Nizza wechselte. Dass Hertha jetzt nur rund vier Millionen für den französischen Offensivspieler bezahlen musste, liegt vor allem daran, dass der inzwischen 22 Jahre alte Maolida die hohen Erwartungen, die sein Talent geweckt hat, bisher nicht erfüllen konnte.
Maolida ist schnell, dribbelstark und in der Offensive flexibel einsetzbar. Im Training in Berlin aber hat er in dieser Woche nicht nur einmal einen unglücklichen Eindruck hinterlassen. Einmal schoss er aus vier Metern mehr oder weniger den auf der Torlinie stehenden Kevin-Prince Boateng an, dann wiederum verlor er im gegnerischen Strafraum in aussichtsreicher Position den Zweikampf mit einer Wasserlache, die der Rasensprenger hinterlassen hatte.
Dardai nennt Maolida einen Fantasiespieler, der über ein Riesenpotenzial verfüge: „Ich hoffe, dass wir das Maximum rausholen können.“ In Bochum wird der Franzose wohl erst einmal auf der Bank sitzen.
ISHAK BELFODIL
Ishak Belfodil hat sein Debüt für Hertha schon hinter sich. Bei der 0:5-Niederlage in München vor zwei Wochen wurde er nach gut einer Stunde für den verletzten Davie Selke eingewechselt. In Bochum nun wird der 29 Jahre alte Algerier erstmals seit Anfang Februar wieder zu einem Startelfeinsatz in der Bundesliga kommen.
„Ishak werden wir spielen lassen so lange wie möglich“, hat Trainer Dardai angekündigt. Wie lange das sein wird, ist schwer vorherzusagen. Dass dem bulligen Stürmer, der für eine halbe Million Euro aus Hoffenheim gekommen ist, noch die Wettkampffitness fehlt, ist im Training unschwer zu erkennen. Aber woher soll die auch kommen? In den vergangenen beiden Spielzeiten ist Belfodil, unter anderem wegen eines Kreuzbandrisses, nur 19-Mal zum Einsatz gekommen. Ein einziges Tor hat er dabei erzielt, und das per Elfmeter.
Belfodil hat, wie Kevin-Prince Boateng und Stevan Jovetic, schon bewiesen, dass er besondere Qualitäten hat. Und trotzdem bleiben, wie bei Boateng und Jovetic, Zweifel. Es kann gut gehen. Es kann aber auch nicht gut gehen.