Mehr Klarheit für die Nationalmannschaft
Nach allem, was man von Hansi Flick weiß, war es schon ein etwas seltsames Bild, das die fünf Herren auf dem Podium abgaben. Da saßen sie in Reih’ und Glied, die ersten vier, von links betrachtet, in schlichten schwarzen T-Shirts mit V-Kragen. Und ganz rechts: der Chef im gebügelten weißen Oberhemd. Der Chef bei der deutschen Fußball-Nationalmannschaft heißt jetzt Hans-Dieter respektive Hansi Flick, und nach allem, was man eben von ihm weiß, legt er nicht unbedingt gesteigerten Wert auf die Chefattitüde.
Seit dem 1. August ist Flick, 56, zurück beim Deutschen Fußball-Bund, am Dienstagmittag nun wurde er auf der Baustelle der neuen DFB-Akademie als neuer Bundestrainer und damit Nachfolger von Joachim Löw vorgestellt. Aber Flick machte aus der Vorstellung von Hansi Flick eine Vorstellung des Teams Flick, das ebenfalls nahezu neu ist. „Erfolg hat man nur gemeinsam“, sagte der neue Chef. „Ich bin ein absoluter Teamplayer.“
Aus dem bisherigen Stab von Joachim Löw ist nur Marcus Sorg als Co-Trainer geblieben. Als zweiter Assistent kommt der erst 32 Jahre alte Danny Röhl hinzu, der als einer dieser jungdynamischen Taktikfreaks gilt und Flick schon beim FC Bayern München zugearbeitet hat.
Genauso wie der mehr als doppelt so alte Hermann Gerland, der zwar nicht auf der Frankfurter Baustelle auf dem Podium saß, aber als Scout ebenfalls zu Flicks Teams gehören soll. Wie genau die Stelle für den 67 Jahre alten Gerland (Kampfname: Tiger) definiert wird, „darüber müssen wir uns noch im Detail unterhalten“, kündigte Flick an.
Flick holt Hermann Gerland in sein Team
Komplettiert wird sein Team durch den Schweizer Andreas Kronenberg, 46, der Andreas Köpke als Torwarttrainer ablöst. Im ersten Jahr wird Kronenberg in Doppelfunktion weiterhin für den SC Freiburg arbeiten, ehe er fest zum DFB wechselt. Mads Buttgereit, 36, kommt als Spezialist für Standardsituationen hinzu. Der Däne mit deutschem Vater hat in dieser Funktion schon für den FC Midtjylland gearbeitet und war zuletzt Co-Trainer der dänischen U-18-Nationalmannschaft. „Das ist ein hoch kompetentes, klasse Team“, sagte Oliver Bierhoff, der Manager der Nationalmannschaft. „Ich bin begeistert von der Atmosphäre, der Energie, der Neugierde und Begeisterung.“
Und von Hansi Flick sowieso, der sein „absoluter Wunschtrainer“ sei, wie Bierhoff noch einmal hervorhob. „Ich weiß, was alles in ihm steckt.“ Nach drei eher bleiernen Jahren für die deutsche Nationalmannschaft verbindet sich mit Flicks Amtsantritt die Hoffnung auf einen neuen Aufbruch. Die Aufgabe ist nach zwei misslungenen Turnieren durchaus anspruchsvoll. Am Horizont erscheint bereits die EM 2024 im eigenen Land, zuvor aber, in nur etwas mehr als 15 Monaten, steht für Flick und sein neues Team die Weltmeisterschaft in Katar an.
Der neue Bundestrainer weiß, dass ihm bis zu seinem ersten Turnier nur wenig Zeit zur Verfügung steht. Gerade mal sechs Abstellperioden sind es, ehe Flick seinen Kader für die WM benennen muss. Ende des Monats wird er das Team vor dem Länderspieltriple gegen Liechtenstein, Armenien und Island erstmals um sich versammeln. Die Nationalmannschaft in die Weltspitze zurückzuführen „ist mit Sicherheit nicht ganz einfach“, sagte der Bundestrainer. Aber: „Ich glaube zu spüren, dass sich hier was sehr Gutes entwickeln kann.“ Wichtig dafür sei, „dass wir alle eine All-in-Mentalität bekommen“, sagte Flick. Dass also von allen alles für den größtmöglichen Erfolg eingesetzt wird.
Nachdem Joachim Löw in der Endphase seiner ewig langen Amtszeit manchmal ein bisschen zu sehr um die Ecke gedacht hat, könnte mit Flick eine gesunde Klarheit zurückkehren. Auch ins Spiel der Mannschaft, die wieder mehr Stringenz benötigt. Aktiv sein, selbst die Initiative ergreifen, höher und entschlossener attackieren, dadurch früher den Ball erobern und schneller zum Abschluss kommen: Das ist die fußballerische Vorstellung des neuen Bundestrainers. Nichts komplett Überraschendes, wenn man Flicks erfolgreiche Arbeit als Cheftrainer beim FC Bayern München verfolgt hat.
Nur Toni Kroos ist zurückgetreten
Das gilt wohl auch für die Personalauswahl. Am 26. August wird Flick sein erstes Länderspielaufgebot bekannt geben. Nach den bisher unentdeckten Talenten, die urplötzlich kurz vor ihrem Debüt für die A-Nationalmannschaft stehen, wird man darin vermutlich vergeblich fahnden.
„Nachwuchs ist enorm wichtig“, sagte Flick, der in den Jahren 2014 bis 2017 als Sportdirektor des DFB sogar federführend für die Nachwuchsentwicklung verantwortlich war. Aber jetzt als Bundestrainer ist es für Flick am wichtigsten, „dass die besten Spieler Deutschlands für Deutschland spielen“.
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Das heißt: Bis auf Toni Kroos, der nach dem Vorrundenaus bei der Europameisterschaft seinen Rücktritt erklärt hat, kommen alle anderen Spieler aus dem EM-Aufgebot weiterhin für die Nationalmannschaft in Frage, auch Thomas Müller und Mats Hummels also, möglicherweise sogar Jerome Boateng, Mario Götze oder Marco Reus. Flick selbst wird sich keinerlei Beschränkungen auferlegen. „Die Besten werden eingeladen“, sagte er über Hummels und Müller. „Wenn sie Topleistungen abrufen, wovon ich ausgehe, sind sie Teil dieser Mannschaft.“
Das ist das Schöne an diesem Job als Nationaltrainer im Vergleich zur Arbeit in einem Klub: „Man kann die Spieler selbst auswählen. Das ist schon mal eine ganz gute Sache.“ Hansi Flick lächelte, als er das sagte. Vielleicht musste er in diesem Moment an das Ende seiner Zeit bei den Bayern denken. Da hätte er die Spieler für seinen Kader auch gern selbst ausgewählt. Aber Hasan Salihamidzic, der Sportdirektor, hat ihn nicht gelassen.