Der Rücktritt der Documenta-Chefin war überfällig
Es wurde auch Zeit. Bis in die Nacht soll der Aufsichtsrat der Documenta unter Vorsitz von Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD) am Freitag getagt haben, danach herrschte Schweigen.
Ein allerdings beredtes Schweigen. Man konnte sich ausrechnen, dass weitere Appelle zur Aufarbeitung des Antisemitismus-Skandals auf der Documenta wohl kaum so lange auf sich warten lassen würden wie die eine entscheidende Personalie: der Rücktritt von Sabine Schormann, der Generaldirektorin der Weltkunstausstellung.
Aber würde es dazu kommen? Geselle hatte die Documenta fifteen nach dem Skandal ähnlich verteidigt wie Schormann, er wollte die Schau nicht unter Generalverdacht wissen. Seine Stellvertreterin im Aufsichtsrat, Hessens Kunstministerin Angela Dorn (Grüne), hatte deutlichere Töne angeschlagen. Gab es Auseinandersetzungen zwischen den beiden über die seit 2018 als Documenta-Chefin tätige Kulturmanagerin?
Um 13 Uhr 50 am Samstag ploppt dann die Pressemitteilung in den Mails auf. „Der Aufsichtsrat, die Gesellschafter und Generaldirektorin Dr. Sabine Schormann verständigen sich einvernehmlich darauf, ihren Geschäftsführerdienstvertrag kurzfristig aufzulösen“, heißt es darin – und dass zunächst eine Interimsnachfolge angestrebt werde.
Gab es eine Dorn-Linie, die sich durchgesetzt hat? Lediglich der letzte der fünf Punkte in der Erklärung scheint auf Geselles Konto zu gehen: Der Aufsichtsrat wirbt dafür, dass diese „erstmals aus dem Blick des sogenannten ,globalen Südens’“ kuratierte Documenta mit über 1500 beteiligten Künstlerinnen und Künstlern „auch in ihrer Gesamtheit und Einzigartigkeit bewertet wird“.
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Es wurde auch Zeit. Nach dem Eklat Ende Juni um das zunächst verhängte und nach drei Tagen abgebaute Großbanner „People’s Justice“ der indonesischen Künstlergruppe Taring Padi auf dem zentralen Friedrichsplatz mit antisemitischen Motiven darauf fragte man sich bald, was eigentlich gravierender ist. Dass es überhaupt zur Präsentation des judenfeindlichen Werks kommen konnte, nachdem das ebenfalls indonesische Kuratorenkollektiv Ruangrupa bereits im Januar wegen Nähe zur Israel-Boykottbewegung BDS in die Kritik geraten war. Oder die Art, wie unter Schormanns Leitung nach der Entfernung des Banners mit dem Skandal umgegangen wurde.
Schormanns (Nicht-)Krisenmanagement hat erheblich dazu beigetragen, dass der Weltruf und -ruhm der Documenta von Tag zu Tag mehr Schaden nahm. „Durch die Aufhängung des Banners und auch im Zuge der Krisenbewältigung in den vergangenen Wochen ist leider viel Vertrauen verloren gegangen“, heißt es jetzt seitens des Aufsichtsrats, dem Vertreter der Stadt Kassel und des Hessischen Landtags angehören.
Der Bund sitzt nicht in dem Gremium, er steuert nur einen geringfügigen Teil zum Documenta-Etat bei. Sich von Schormann zu trennen, ist die einzig mögliche, die richtige Entscheidung – um vielleicht noch zu retten, was zu retten ist.
Zwei Beispiele für Schormanns Missmanagement nur, ob aus Sturheit und Trotz oder aus Überforderung. Als der Bundes-Kulturausschuss am 7. Juli zu den Vorfällen tagte, einen Tag vor einer Bundestags-Debatte zum Thema, sagte Schormann wegen Krankheit ab, schickte keine Vertretung, nahm auch nicht aus der Ferne oder im Nachgang Stellung etwa zu der von Daniel Botmann vom Zentralrat der Juden in Deutschland vorgetragenen Kritik. Dann warf Meron Mendel hin, der als Krisenberater berufene Leiter der Bildungsstätte Anne Frank. Seinen Vorwurf der Untätigkeit an Schormanns Adresse parierte sie mit einem langen Statement auf der Webseite der Documenta.
Darin wies sie nicht nur Mendels Kritik zurück, sondern eigentlich jede. Aber ihre Darstellung der Geschehnisse erntete umgehend harschen Widerspruch, vor allem von der sichtlich verärgerten Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne). Auch Experten, die Schormann in ihrem Statement als bereits im Frühjahr tätig gewordene Berater erwähnte wie den Kurator Anselm Frank, distanzierten sich von Schormanns Schilderung eben dieser Beratertätigkeit.
So häuften sich zuletzt nicht nur die Rücktrittsforderungen an die Adresse von Schormann, sondern Ärgernis türmte sich auf Ärgernis, Eklat auf Eklat. Schlimmer ging’s immer.
Wieder wird eine Experten-Begleitung gefordert – nicht nur mit Antisemitismus- sondern auch mit Postkolonialismus-Experten
Erwartungsgemäß wird der Schritt nun begrüßt. Kulturstaatsministerin Roth sagte der “Frankfurter Rundschau”: “Es ist richtig und notwendig, dass nun die Aufarbeitung erfolgen kann, wie es zur Ausstellung antisemitischer Bildsprache kommen konnte, sowie die nötigen Konsequenzen für die Kunstausstellung zu ziehen“.
Auch Felix Klein, Antisemitismus-Beauftragter der Bundesregierung, nannte Schormanns Absetzung “überfällig”. Antisemitismus können in keiner Form akzeptiert werden, “gleichgültig woher die Künstler kommen”, sagte Klein der “Bild”-Zeitung.
Dabei wird leicht übersehen, wie die Politik sich mit dem Abtritt von Schormann aus der Schusslinie nimmt. Allen voran Kassels OB Geselle, der sich wie Schormann beim Kulturausschuss des Bundes entschuldigen ließ, wegen Haushaltsverhandlungen in Kassel. Die scheinen ihm wichtiger gewesen zu sein. Aber auch Claudia Roth, die sich zwar glaubwürdig erschüttert zeigte angesichts des Skandals, aber sich zuvor gegenüber den Documenta-Verantwortlichen allzu vertrauensselig gezeigt hatte.
Die Findungskommission soll jetzt mit aufarbeiten. Aber sie steht selbst in der Kritik
Wie geht es nun weiter? Der Aufsichtsrat, der in der Erklärung zunächst seiner „tiefen Betroffenheit“ über die „klare Grenzüberschreitung“ der Präsentation eines Werks mit eindeutig antisemitischen Motiven Ausdruck verleiht, fordert erneut die Hinzuziehung von Experten. Die Rede ist von einer fachwissenschaftlichen Begleitung, „die sich aus Wissenschaftler*innen zum Gegenwarts-Antisemitismus, zum deutschen sowie globalen Kontext und Postkolonialismus sowie zur Kunst zusammensetzt“. Diese soll eine Bestandsaufnahme betreiben, beraten und mögliche weitere Werke mit antisemitischen Motiven identifizieren.
Es soll also endlich endlich geschehen, was seit Wochen öffentlich gefordert wird. Allerdings in einer Expertenrunde, in der all jene Positionen vertreten sind, die im Skandal aneinander gerieten. Hinter dem Eklat steckt ja eine weit umfassendere Auseinandersetzung: die zwischen Postkolonialisten und Antisemitismus-Kritikern. Seit dem Streit um die Einladung des Postkolonialisten Achille Mbembe als Eröffnungsredner der Ruhrtriennale 2020 nimmt sie immer neu Fahrt auf.
Der Aufsichtsrat regt an, dass die Findungskommission – jenes Gremium, welches Ruangrupa für die künstlerische Leitung auswählte – bei der „Begleitung“ mitwirken soll. Das ist seltsam, und schon wieder fragwürdig: Auch in der Findungskommission sitzen Kunstexperten, die wegen ihrer Nähe zu BDS in die Kritik geraten sind. Wenn die Documenta das verlorene Vertrauen wiedergewinnen will, muss sie auf Unterstützung außerhalb der eigenen Reihen setzen.