Männer lieben, Männer schießen
Bunte Scheinwerfer, Feuerwerk und Diskokugeln spiegeln sich in den Sektgläsern, die Ole Stark (Martin Feifel) durch die Menge um den Pool trägt. Das Schauspielerpaar Moritz und Carolin Seitz (Thomas Heinze und Nina Kronjäger) laden die Reichen und Schönen der Filmszene zu einer wilden Silvester-Party in einem Kölner Villenviertel ein. Ein umgeworfener Scheinwerfer verwandelt den Pool in eine elektrisch geladene Mordwaffe.
Der Gastgeber geht für den Mord an seinem unsympathischen Schauspielkollegen Thore Bärwald (Max Hopp) hinter Gitter. Ole Stark war mit Bärwald auf der Schauspielschule, heute muss er froh sein, dass Moritz Seitz ihn kellnern lässt. Vier Jahre später gesteht er den Mord.
[„Tatort: Vier Jahre“, ARD, Sonntag, um 20 Uhr 15]
Durch die Zeitsprünge zwischen Tatnacht und den Ermittlungen gelingt Thorsten C. Fischer die Regie eines spannenden Kölner „Tatorts“. Mit genau dem richtigen Maß an Verwirrung werden die beiden Handlungsstränge miteinander verwoben. Denkt man zu Beginn noch, es sei einer dieser Krimis, in denen der Täter oder die Täterin von Anfang an feststeht, merkt man schnell, dass es sich mitnichten um einen abgeschlossenen Fall handelt.
Während die beiden Kommissare Ballauf und Schenk (Klaus J. Behrendt und Dietmar Bär) unterschiedlichen Spuren nachgehen, sind sie sich eigentlich nur über eines wirklich einig: Die Sache stinkt. Nachdem ebenso verspäteten wie überraschenden Geständnis kriegen sie eine Woche, um den Mord neu aufzurollen. Moritz Seitz kommt so lange wieder auf freien Fuß. Blöd nur, dass seine Frau und Tochter (Sarah Buchholzer) jetzt mit dem Streifenpolizisten zusammenleben, der damals als erstes am Tatort war.
Männer gegen Männer
Ein Großteil der Geschichte spielt sich dann auch an diesem Tatort ab. Die Villa und der inzwischen leere Pool werden zum Schlachtplatz für zwei Männer: Frank Heise (Florian Anderer), der sportliche Streifenpolizist, mit gesichertem Einkommen und Verantwortungsgefühl und eben Moritz Seitz, der extravagante Schauspieler mit Geld, Arschlochpotenzial und einem Hang zum Romantischen. Dazwischen sieht Carolin Seitz ziemlich unentschlossen aus. Weibchen wählt den Nestbeschützer, während sich die beiden Männer gegenseitig mit toxischer Männlichkeit überbieten – wobei Moritz eher auf das aggressive und Frank auf das gespielt gefühlige Plustern setzt.
Der Drehbuchautor Wolfgang Stauch hat eine spannende Geschichte entworfen, die sich um Liebe und Ehrgefühl spinnt und die Grenzen zwischen den beiden Polen zunehmend verschwimmen lässt. Dabei kommt einem die Rolle der Frau zwischen den beiden Männern allerdings eher unglaubwürdig vor. Braucht sie den Streifenpolizisten denn wirklich zur finanziellen Unterstützung? Und wichtiger: Würde sie den Neuen nach einer Woche einfach wieder abschieben? Wahrscheinlicher scheint es, dass sie beide Männer für ihr Benehmen aus dem Haus geschmissen hätte.
[Alle Folgen des True-Crime-Podcasts Tatort Berlin des Tagesspiegels finden Sie hier]
Der Tanz zwischen Vernunft und Liebe wird von Nina Kronjäger dabei aber nicht weniger überzeugend gespielt als die schleichende Aggressivität, die die beiden Männer kennzeichnet. Noch mehr packt einen Martin Feifel als Ole Stark. Zum Schluss zeigt er im Knast die traurigen Grenzen der Schauspielerei auf. Anrührend ist die Szene auch wegen der schönen Dialoge. Im Verhör erzählt Ole lachend die Geschichte neu. Mit den zitternden Sorgenfalten eines Trinksüchtigen gesteht er Ballauf am Ende: „Ist eigentlich nicht so lustig.“
Das düsterste Milieu
Spannung erzeugt auch das Milieu. Schauspieler*innen spielen Schauspieler*innen, die Polizist*innen spielen, die Schauspieler*innen spielen. Aber wer spielt den Mörder? Oder die Mörderin? In einem Umfeld professioneller Schauspieler*innen scheint jede Zeugenaussage den Ermittlern verdächtig. So ganz ersichtlich ist es aber nicht, warum jemand, der schon einmal eine Polizistin gespielt hat, besser darin sein sollte, einen Mord zu vertuschen als jede andere Verdächtige. Da traut sich die Filmszene vielleicht doch etwas zu viel Realitätsnähe zu.
Trotzdem ist das Spiel mit dem Genre unterhaltsam. Nicht nur die Unschuld wird nämlich gespielt, sondern eben auch die Liebe. Aber was ist bei diesen Schauspieler*innen eigentlich echt? Als Frank Heise die Frage provokativ an seinen Nebenbuhler richtet, antwortet dieser inbrünstig: „Bei mir ist alles echt!“ Ob er die Wahrheit sagt, erfährt das Publikum erst ganz zum Schluss. Hier sei nur so viel gesagt: Bevor der Vorhang fällt, stürzen sich Ballauf und Schenk, wie so oft, in tiefe Zweifel über den Widerspruch zwischen Recht und Gerechtigkeit. „Wir hätten die Finger davon lassen sollen. Aber wär’s dann besser geworden?“, murmelt Ballauf zum Schluss. „Vielleicht“ ist seine Antwort, „wohl kaum“ die von Schenk.