Die Asche des Vesuvs
Im hellblauen Gewand, den giftgrünen Lidschatten bis fast unter die Augenbrauen gezogen und die Lippen in ausuferndes Korallenrot getränkt, meldet sich die Songwriterin Cate Le Bon im Video zu ihrer neuen Single „Remembering Me“ zurück – und könnte damit glatt einen David-Bowie-Lookalike-Contest für sich entscheiden. Auch musikalisch ist der Einfluss des Großmeisters nicht zu überhören.
Die widerborstige Gitarre fräst sich durch das Lied, als würde Bowie immer noch als „Lodger“ durch Schöneberg geistern. Le Bon strampelt und strauchelt sich durch das Video, eingehüllt in Textilkokons und Ganzkörperverschleierungen, sinnbildlich für die klaustrophobische Pandemieerfahrung, in der ihr neues Album „Pompeii“ entstanden ist.
Rückkehr ins Reihenhaus
In „Remembering Me“ bringt sie den allgemeinen Erschöpfungszustand treffend auf den Punkt: „Upset and out of touch / Good Grief you missed so much“ lamentiert Le Bon in ihrem unverkennbaren Timbre. Mal im fiependem Sopran, dann wieder melancholisch-trüb und immer mit der nötigen Prise Ennui. „Remember me“ – als ob man sie vergessen könnte.
„Pompeii“ ist Le Bon zufolge das Ergebnis von drei Menschen, die gemeinsam in einem Reihenhaus den Verstand verloren haben. Neben ihr selbst, sind damit noch Tim Presley gemeint, mit dem sie unter dem Bandnamen Drinks zusammenarbeitet, und Samur Khouja, der Le Bon seit ihrem Durchbruchsalbum „Mug Museum“ im Studio unterstützt. Das Reihenhaus steht in Cardiff und gehört Gruff Rhys, Frontmann der Indierocker Super Furry Animals. Eigentlich wollte die Waliserin ihr sechstes Album an einem entlegenen Ort in Chile oder Norwegen schreiben, doch am Ende zwang die Pandemie sie zur Rückkehr in ihre Heimat und in die eigene Vergangenheit.
Denn vor 15 Jahren lebte Le Bon schon einmal in besagtem Reihenhaus, damals noch als weitgehend unbekannte Musikerin, nun kehrt sie jedoch als gefeierter Rockstar zurück. Hier kollidierten Gegenwart und Vergangenheit in einem Moment, an dem die Zeit eigentlich außer Kraft gesetzt schien. „Es war wie eine seltsame Art Zeitreise, fast wie in einem Kurt-Vonnegut-Buch“, beschrieb sie die Erfahrung kürzlich in einem Interview.
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Dieser Gleichzeitigkeit von verschiedenen Lebensrealitäten verleiht Le Bon im melancholischen Titelstück „Pompeii“ Ausdruck: „All my life in a sentiment“. Das ganze Leben in einer Empfindung. Wie die Menschen der antiken Stadt, die von der tödlichen Aschewolke des Vesuv überrascht wurden und deren letzte Geste, eine zärtliche Umarmung etwa, auf ewig im Aschgrau der Katastrophe festgehalten wurde.
Das Aufeinanderprallen von Ausnahmezustand und Alltäglichem zog sich durch die Arbeit an „Pompeii“ und spiegelt sich auch in den Klangtapeten, die Le Bon hier schafft. Das hypernervöse Post-Punk-Geschrammel das noch die Vorgänger „Crab Day“ und in Teilen auch „Reward“ prägte, ist eklektischen Popkaskaden gewichen, die einen mit pluckernden Synthesizer und waberndem Saxophon direkt in die 80er Jahre zurückversetzen. Bis auf das Blasinstrument und die Drums hat Le Bon dabei jedes Instrument selbst eingespielt. Den Großteil des Albums hat sie auf der Bassgitarre geschrieben, was den gesteigerten Tanzbarkeitsgrad der Aufnahmen erklären dürfte.
[„Pompeii“ von Cate Le Bon erscheint bei Mexican Summer.]
Doch bei allem Groove wird die klangliche Opulenz von ihren bisher persönlichsten und introvertiertesten Textzeilen flankiert, in denen sich Le Bon mit den gegenwärtigen Kalamitäten und der eigenen Sterblichkeit auseinandersetzt. Nie deklamatorisch, sondern stets kühl untersetzt. „Pompeii“ ist das Resultat eines Gefühls, das die Musikerin so zusammenfasst: „Die Welt steht in Flammen, aber die Mülltonnen müssen trotzdem am Dienstagabend raus.“ Das Diktat des Profanen im Angesicht der Endzeit.
Doch Le Bon flüchtet sich nicht in Eskapismus, sondern stellt sich der eigenen Verantwortung und Schuld an den heutigen Krisen. Der Song „Moderation“ mutet zwar wie eine Hymne der pandemischen Verzichtserfahrung an, wurde aber von einem Essay der italienisch-brasilianischen Architektin und Designerin Lina Bo Bardi inspiriert, in dem diese über das Verhältnis zwischen technologischem Fortschritt und der menschlichen Denkfähigkeit sinniert.
Die Musikerin reflektiert das tägliche Dilemma zwischen weitverfügbarem Wissen über die Konsequenzen des eigenen Handelns und dem Verlangen nach Dingen, die etwa die Klimakrise nur verschärfen. In ihrer gewohnt dadaistischen Art nähert sie sich solchen Widersprüchen der menschlichen Existenz mit den Mitteln des Absurden, ohne sie dabei aber auch nur ansatzweise ins Lächerliche zu ziehen. Vielmehr beweist Le Bon sich als Meisterin dessen, was Dada-Pionier Kurt Schwitters einst als seinen Kunstbegriff definierte: ein Spiel mit ernsten Problemen.
Obschon sie nicht als gottesfürchtige Künstlerin bekannt ist, sind die Lyrics auf „Pompeii“ sehr stark von Bildern wie Auferstehung, Beichte oder Erbsünde („I was born guilty as sin / to a mother guilty as hell“) geprägt. Das Albumcover zeigt sie leicht verschwommen in weißem Nonnengewand, die Augen weit aufgerissen, die geballte Faust vor der Brust. Das Motiv geht auf ein pastellfarbenes Acrylgemälde von Tim Presley zurück, das Le Bon in den Bann zog und den kreativen Prozess im Heimstudio leitete. „Ich habe alles in diesem Bild gesehen – Stärke und Zerbrechlichkeit“, sagte sie jüngst dem britischen „Guardian“.
„Pompeii“ ist die Vertonung dieser unbeugsamen Verletzbarkeit, der sich Le Bon mit Verve hingibt. In der ersten Singleauskopplung „Running Away“ besingt sie die schonungslose Kapitulation. Im dazugehörigen Video legt sie die Kettenhemd-Rüstung an, lässt alles von sich abprallen: „Take your gloves off / I’m not scared anymore“ posaunt sie während im Hintergrund die Gitarrensplitter klirren – nur um am Ende doch mit dem Rücken zur Wand zu stehen („With nowhere left to go/ You’re just … / Running away“). „Pompeii“ ist Cate Le Bons Flucht nach vorn. Der eindrucksvolle Beweis dafür, wie viel Kraft die Ausweglosigkeit entfesseln kann.