Leipziger Buchmesse: Helene Fischer und Roland Kaiser gegen die Literaturwelt

Man würde an dieser Stelle jetzt gern schreiben, wie stets bei solchen Anlässen: Ganz Leipzig steht im Zeichen der Buchmesse, im Zeichen der Literatur, im Zeichen von Büchern, im Zeichen von denjenigen, die sie geschrieben haben und daraus vorlesen wollen. Doch leider ist es wohl nur das halbe Leipzig, das zu Lesungen in der Stadt geht und raus zu den Messehallen fährt.

Denn seit Dienstag hat noch jemand anderes die Stadt komplett in Beschlag genommen, bis kommenden Sonntag, dem letzten Messetag: Helene Fischer.

Fünf Mal gibt sich unser aller Lieblingsschlagersängerin („Atemlos durch die Nacht“, „Herzbeben“, „Von null auf hundert“) in der 12.000 Zuschauer:innen fassenden Quarterback Immobilien Arena die Ehre, fünf Mal ist natürlich ausverkauft, fünf Mal dürfte höchstens in Songbücher geschaut werden.

Was aber auch bedeutet: Nie war es so schwer gewesen, während der Leipziger Buchmesse ein einigermaßen günstiges Hotelzimmer zu bekommen, gerade für kleinere, weniger finanzstarke Verlage ein erhebliches Problem.

Noch nicht die alte Größe

Trotzdem: Es sind alle wieder da, auch die großen Verlagsgruppen, deren Last-Minute-Rückzug im vergangenen Jahr für eine finale Absage der Messe gesorgt hatte. Alle wieder da? Man muss es wohl doch zurückhaltender sagen: fast alle. Von Buchbeben oder null auf wieder hundert keine Rede. 2000 Aussteller kommen nach Leipzig, 2019 waren es 2500 aus 46 Ländern.

Buchmessendirektor Oliver Zille hatte in den letzten Wochen mehrmals darauf hingewiesen, dass es dauern könnte, bis die Leipziger Buchmesse wieder die Größe der Vorpandemie-Zeit erreicht. Auch beim Publikum ist er betont zurückhaltend, nach der Pandemie ist nicht automatisch jede Großveranstaltung ein Selbstläufer (außer Helene Fischer, versteht sich). Mit sechzig Prozent der Zahlen bis 2019 rechnet Zille, er erwartet rund 130.000 Buchinteressierte an den vier Messetagen.

Es hatte 2022 Diskussionen darüber gegeben, ob Buchmessen überhaupt noch zeitgemäß sind, sie in der digitalen Gegenwart noch einen entscheidenden Nutzen für Verlage, Buchhandel und Autoren und Autorinnen haben. Zumal mit der dieses Jahr in die letzten Apriltage verschobenen Messe die Verlage wie üblich einen Schritt weiter sind: Die Herbstprogramme sind verschickt, die Frankfurter Buchmesse will sorgfältig geplant werden.

Was sicher ist: Alle freuen sich – und vier Tage lang gibt es große mediale Aufmerksamkeit. Das ist für die Literatur und die Buchwelt keine Selbstverständlichkeit mehr, außer bei Benjamin von Stuckrad-Barre.

Schaut man sich das Programm der Messetage an, scheint jedoch wirklich alles wie immer zu sein: Es gibt Preise über Preise, vom Preis der Europäischen Verständigung über den der Leipziger Buchmesse bis zu denen der Literaturhäuser und der Kurt-Wollf-Stiftung; es kommen größtenteils Autoren und Autorinnen vor allem aus Deutschland und Österreich, die gerade Bücher veröffentlicht haben, und die Manga-Comic-Con findet auch wieder statt.

Und natürlich sind Prominente da, die nicht unbedingt der Literatur zuzurechnen sind. Allen voran Ex-Kanzlerin Angela Merkel, die höchstwahrscheinlich nicht die Hallen besucht, wie einst Helmut Kohl in jene der Frankfurter Buchmesse, als er im Rollstuhl zum Stand des Droemer Verlags geschoben wurde, sondern direkt ins Schauspielhaus. Hier stellt Merkel am Sonnabend ihr Buch mit drei ihrer Reden vor und diskutiert mit „Zeit“-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo die Lage des Landes, vielleicht sogar der Welt.

Angela Merkel kommt auch

Desweiteren kommen mit El Hotzo, Dirk von Lowtzow, Sebastian Fitzek oder Eckhart von Hirschhausen weitere literaturferne Autorenstars in die Stadt. Und nicht zu vergessen: Auch Roland Kaiser gibt sich sich mit einem „Roadbook“ die Ehre, mit vielen Fotografien und Erinnerungen aus dem Leben eines Schlagersängers.

Womit wir wieder bei Helene Fischer wären. Wenn Fischer das nächste Mal in Leipzig als Buchautorin aufschlagen sollte, vielleicht in fünf oder zehn Jahren, und sie von der Messe als einer ihrer Stars beworben wird – Oliver Zille hätte bestimmt nichts dagegen. Denn das würde bedeuten, dass die Leipziger Buchmesse ihre Zukunft noch lange nicht hinter sich hat.