Komödiant und Melancholiker
Seinen hundertsten Geburtstag hätte Marcello Mastroianni erst im Jahr 2024 gefeiert. Doch ist die im Berliner Kino Arsenal in Zusammenarbeit mit dem Italienischen Kulturinstitut an diesem Freitagabend beginnende zweimonatige Hommage für den wunderbaren M.M. weit mehr als nur die persönliche Huldigung an den vor einem Vierteljahrhundert verstorbenen Weltstar.
Tatsächlich eröffnen die etwa zwanzig bis Mitte Oktober gezeigten Filme ein Panorama der Verwandlung – nicht nur eines Akteurs, sondern der rasanten Veränderung auch eines Landes und seiner vermeintlich so unerschütterlichen, international bewunderten und beneideten Alltagskultur.
Marcello Mastroianni erweckte sofort die Aufmerksamkeit
Marcello Mastroianni, der in der Nähe von Neapel geborene Handwerkersohn und von früh an umschwärmte schöne Mann, ist von Luchino Visconti Ende der 1940er Jahre als Laiendarsteller in einem römischen Studententheater, entdeckt worden. Bei seinen Anfängen in zunächst harmlosen Filmkomödien ab 1950 weckt er sofort die Aufmerksamkeit durch etwas, das im Theater wie im Film kaum erlernbar ist: durch schiere Präsenz.
Jede Bewegung, jede seiner mit instinktiver Ökonomie gesetzten Gesten, jeder Gesichtsausdruck beherrscht sofort die Situation. Von Beginn an hat Mastroiannis Spiel selbst in turbulenten Szenen voll typischer „italianità“ nie den Zug ins burlesk Übertriebene, er erscheint beherrscht, wirkt eher durch Understatement. Weshalb bewusste Karikaturen, die er auch zeigt, etwa 1961 in der berühmten Komödie „Scheidung auf Italienisch“, bei ihm umso komischer ausfallen.
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Sieht man den jungen Marcello als um seine schwangere Braut besorgten Verkehrspolizisten in „Ein Sonntag im August“ von 1950 oder vier Jahre später als einfachen Taxifahrer in „Schade, dass sie eine Kanaille ist“ (mit Sophia Loren in ihrer frühen Erfolgsrolle), dann zeigen diese jeweils im sommerlichen Rom und am Strand von Ostia spielenden Schwarzweißfilme der Regisseure Luciano Emmer und Alessandro Blasetti ein noch fast archaisches Nachkriegsitalien. Die kleinbürgerlichen Häuser und Haushalte mitten in der Stadt sind eher schäbig, die Wände bröckeln, viel vermeintlich romantische, in Wahrheit eher ärmliche Morbidezza, und die Motoren der knatternden Autos müssen oft noch mit Handkurbeln vorne am Kühler angeworfen werden.
Mastroianni bestach durch seine schiere Präsenz
Mastroianni hat um 1950 wohl noch einige Pfunde zuviel auf den Hüften, das hübsche Gesicht hat noch etwas nervenarm Teigiges. Umso erstaunlicher die bereits erwähnte „Präsenz“. Nur zehn Jahre später jedoch in Fellinis „La dolce vita“ bewegt sich Mastroianni verschlankt und elegant als von Selbstzweifeln heimgesuchter Boulevardreporter wie tag- und nachtträumerisch durch eine ganz andere Welt. Italiens Bourgeoisie ist zu neuem Geld gekommen, die Alfa Romeos auf den Straßen behaupten sich flott gegenüber den protzig auftauchenden amerikanischen Großlimousinen.
Die Kulisse war auch im „Süßen Leben“ noch Rom. Fast zu einem Schock der Modernität des norditalienischen Wirtschaftswunders geraten dagegen die Anfangseinstellungen von Michelangelo Antonionis „La notte“. Mailänder Hochhäuser, Stahl und Glas, gleitende Aufzüge, dichter Verkehr eines vehement automobilisierten Mittelstandes, man trinkt Whiskey und raucht amerikanische Zigaretten.
Mastroianni und Jeanne Moreau gleiten, taumeln, fallen durch diese Mailänder Nacht, er ein in seiner sanften Egomanie verschlossener, gefeierter Schriftsteller, sie seine zwischen Treue, Versuchung, subtilem Ekel changierende Ehefrau. Von Ennui und unbestimmter Lust getrieben, sind die beiden Paar und Passanten in einer durch Verlagsempfänge, Nachtclubs und schon fast berlusconihafte Neureichpartys an Swimmingpools und einem privaten Golfplatz geprägten Welt.
Ein finaler Kuss, von Gewalt begleitet
Am Ende liegen Jeanne Moreau und Mastroianni, die sich nicht mehr lieben und doch nicht voneinander lassen können, bei einem wie von innerer Gewalt erzwungenen Kuss am Boden. Im Morgengrauen von „La notte“, einem großen Filmkunstwerk.
Mit einem langen, von vorangegangener Gewalt begleitetem Kuss endete 1954 auch zwischen Sophia Loren und Mastroianni „Schade, dass sie eine Kanaille ist“.
[2. 9. bis 16. 10., Kino Arsenal, Programm: arsenal-berlin.de]
Aber man ist beim heutigen Anschauen erschrocken, wie selbstverständlich die Loren als „Kanaille“ von ihrem bis dahin oft zögerlich scheuen Gefährten den Beweis seiner Liebe einfordert: Schlag mich, wenn du mein Mann sein willst. Und Mastroianni als plötzlich explodierender Latin Lover und Macho schlägt die junge Frau heftig ins Gesicht, dann folgt der finale Kuss. Eine Szene, die nicht erst heute befremdet. Schon in der nicht besseren, aber veränderten Welt von Antonionis „La notte“ nur sieben Jahre später herrscht eine ganz andere Zeit.
Befremdung wird zum Thema dann in einer Mordgeschichte, erdacht von Albert Camus und in Algerien inszeniert von Luchino Visconti. Marcello Mastroianni ist da „Der Fremde“, ein existenziell Schwermütiger, der sich und der Welt eine jähe Gewalttat nicht erklären kann. Es ist einer der vielen großen Filme mit dem 1996 allzu früh an Krebs gestorbenen Schauspielkünstler, der jetzt in seinen frühen Rollen noch einmal zu entdecken ist.