Junge Kunst trifft Expressionismus

Ein sprödes Video über Frauen und Betelnüsse in Taiwan und zwei verschiedene malerische Positionen bilden das Kontrastprogramm des Ars-Viva-Preises für das Jahr 2022. Mooni Perry, Tamina Amadyar und Lewis Hammond heißen die neuen Träger der vom Kulturkreis der deutschen Wirtschaft seit 1953 jährlich vergebenen Auszeichnung für in Deutschland lebende Künstler:innen unter 35 Jahren.

Die Ausstellungen dazu finden seit jeher an wechselnden Orten statt: Bevor die Preisträger:innen ihre Arbeiten ab Frühjahr 2022 noch einmal im Kai Art Center in Tallin zeigen, werden sie aktuell im Berliner Brücke-Museum ausgestellt. (Bussardsteig 9, bis 28. November, Mi-Mo 11-17 Uhr, Eintritt 6 Euro, ermäßigt 4 Euro)

Direktorin Lisa Marei Schmidt hat die Beteiligten Werke von expressionistischen Künstlern auswählen lassen, um sie in die Ausstellung zu integrieren. Allerdings funktioniert das nicht so gut, weil sich das ungleiche Trio nicht wirklich auf die Brücke-Künstler bezieht.

Die Holzschnitte oder Malereien von Kirchner und Co. bleiben Beiwerk.Bei Lewis Hammond, der neben persischen und afrikanischen „Würdestäben“ aus Schmidt-Rottluffs Sammlung noch eine Reihe von Motiven Erich Heckels zwischen die eigenen Gemälde gehängt hat, wirkt die Kombination am wenigsten beliebig.

Hammond zitiert Arnold Böcklin

Hammond, 1987 im britischen Wolverhampton geboren, lässt vergleichsweise viel Kunsthistorie durchscheinen. Seine düsteren figurativen Ölgemälde scheinen von Altmeistern wie Francisco de Goya inspiriert.

Es sind gemalte Alpträume, Bilder voller verzerrter Doppelgänger und seltsamer Mischwesen wie eine unbefellt-rosafarbene Katze in Seitenlage, die darauf zu warten scheint, dass ein Wurf Ferkel an ihren Zitzen nuckelt.

Angst und Gewalt prägen Lewis Hammonds Bildwelten. Aus einem geöffneten Männermund blinkt eine Reihe spitzer Reißzähne hervor.

Das Hochformat „Angry Gods (After Böcklin)“ , 2021 gemalt, ist übersät mit Messern, in der dunklen Untermalung wird Arnold Böcklins weibliche, die Sense schwingende Allegorie der Pest sichtbar.

Die Pandemie, die das Hammond-Gemälde unübersehbar geprägt hat, ist natürlich auch an seiner Maler-Kollegin Tamina Amadyar nicht spurlos vorübergegangen.

Aufgrund des Lockdowns malte die 1989 in Kabul geborene Künstlerin eine Reihe aquarellierter Stadtansichten in Berlin, die in ihrer detaillierten Schilderung eher untypisch für Amadyars Schaffen sind. (Mittendrin hängen urbane Zeichnungen von Kirchner und Schmidt-Rottluff). Auf ihren großformatigen Leinwänden geht es um reine Farbwerte.

Das Betelnuss-Business

Mit sehr flüssiger Farbe gemalt, setzt die Künstlerin jeweils zwei Töne in Beziehung. Die Farben umarmen oder durchdringen sich, die Luft flirrt.

Die Videoarbeit, die im Zentrum der Präsentation der 1990 geborenen und aus dem koreanischen Seoul stammenden Mooni Perry steht, bezieht sich vergleichsweise deutlich auf gesellschaftliche Zustände. Der Titel „Binglang Xishi“ bedeutet Betelnuss-Schönheit, gemeint sind junge, leicht bekleidete Frauen, die in Taiwan an Straßenkiosken Betelnüsse verkaufen.

Die Frucht der Betelpalme, die wie Alkohol wirkt, ist in Taiwan in Verruf geraten, weil sie Mundhöhlenkrebs verursachen kann. Da die Palmen überdies eine Bedrohung für andere Nutzpflanzen darstellen und das Betelnuss-Business ein Nährboden für Kriminalität und Prostitution sein soll, versucht die taiwanesische Regierung Produktion wie Konsum einzudämmen.

Mooni Perry meets Walter Gramatté

Passagenweise wirkt „Binglang Xishi” wie eine aufklärende Dokumentation. Bis sich Perry zwei Betelnuss-Girls nähert, die am Tresen im Neonlicht ihren „Stoff“ verkaufen, und die Abschätzigkeit der Gesellschaft diesen „gefallenen Mädchen“ gegenüber kritisch beleuchtet.

Am Ende erzählen die selbstbewusst auftretenden Frauen das buddhistische Märchen von der Freundschaft der weißen und der grünen Schlange: Erstere liebt einen jungen Mann aufrichtig, dem sie als schöne Frau erscheint. Ein Mönch, der die weiße Schlange als böse Hexe verkennt, tritt als Gegenspieler des Paars und ihrer Helferin, der grünen Schlange, auf. Dabei sind die Schlangen, die manches Ungemach erdulden müssen, in diesem Märchen herzensgute Wesen, denen ein wohlverdientes Happy-End winkt. Mooni Perry hat sich, warum auch immer, das „Stilleben mit Blick auf nächtliche Stadt“ (1922/23) von Walter Gramatté ausgesucht.

Die divergierenden Positionen mit expressionistischen Werken zusammenzubinden, wirkt fadenscheinig. Man kann Unterschiede ja auch einfach stehenlassen. Und trotzdem: eine schöne Gruppenausstellung.