Der Gewinner unter den Gewinnern in der Nationalelf

Hansi Flick steht sicher nicht im Verdacht, ein Anhänger des übertriebenen Personenkults zu sein. Vor allem nicht, wenn es um seine eigene Person geht. Der neue Bundestrainer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft hebt bei jeder Gelegenheit den Wert seines Teams hervor. Insofern ist es gar nicht hoch genug einzuschätzen, wenn er sich ausnehmend lobend über eine einzelne Person auslässt.

Vor gut einem Monat hat Flick das getan, als er die ersten drei Länderspiele als Bundestrainer hinter sich hatte. Die Etappe war mit drei Siegen erfreulich zu Ende gegangen, und nach der bleiernen Endzeit der Ära Löw gab es einige positive Erscheinungen in der Nationalmannschaft. Leroy Sané zum Beispiel. Oder seinen Münchner Teamkollegen Niklas Süle. Flick aber sagte: „Thilo Kehrer möchte ich mal hervorheben. Er hat alle Spiele gespielt, auf drei verschiedenen Positionen. Der Junge hat das super gemacht.“

Thilo Kehrer also, 25 Jahre alt, seit 2018 bei Paris Saint-Germain unter Vertrag, wo er allerdings nicht unbedingt zu den großen Attraktionen zählt. Das ist er auch in der Nationalmannschaft nicht, obwohl nicht viele deutsche Verteidiger für mehr Geld (37 Millionen Euro) den Verein gewechselt haben. Wenn man einem durchschnittlich interessierten Fußballfan fragte, wie Kehrer eigentlich bei der Europameisterschaft im Sommer performt hat, dann müsste der durchschnittlich interessierte Fußballfan vermutlich lange nachdenken. Und das zurecht. Kehrer war bei der EM gar nicht dabei.

„Ich habe eine Saison gehabt, die alles andere als optimal verlaufen ist“, sagt er selbst. Viele kleinere Verletzungen hätten ihn immer wieder zurückgeworfen, so dass er letztlich für den damaligen Bundestrainer Joachim Löw keine Option war. Dass diese Entscheidung gegen Kehrer riesige Schockwellen im Land ausgelöst hätte, lässt sich nicht gerade behaupten.

Viermal nacheinander in der Startelf – das gab es nie seit dem Debüt 2018

Hansi Flick aber hat den vielseitigen Verteidiger bei erster Gelegenheit in seinen elitären Kreis zurückgeholt. Im Training hat er Kehrer „sehr selbstbewusst“ erlebt, sehr konzentriert, topfit zudem. „Er hat seine Sache sehr gut gemacht“, hat Flick noch mal im Rückblick auf die Länderspiele im September gesagt. Thilo Kehrer, der große Unscheinbare, war gewissermaßen der Gewinner unter lauter Gewinnern der beginnenden Ära Flick.

Dass der frühere Schalker inzwischen auch in der Nationalmannschaft anders wahrgenommen wird, hängt nicht zuletzt mit den Veränderungen in seinem Klub zusammen. Kehrer ist jetzt für seine Teamkollegen ein wichtiger Ansprechpartner, wird häufiger mal gefragt, wie er denn so sei. Er. Lionel Messi, der im August vom FC Barcelona zu PSG gewechselt ist.

„Den meisten Glamour zeigt er auf dem Platz“, sagt Kehrer, und trotzdem strahlt der Glanz des argentinischen Ausnahmefußballers jetzt auch ein wenig auf ihn ab. Als „was ganz Besonderes“ empfindet Kehrer die Zusammenarbeit mit Messi. Aber weniger wegen des Promifaktors als wegen der positiven Auswirkungen auf sein eigenes Spiel. „Ich profitier’ da nur von“, sagt er. „Ich lerne jeden Tag – weil ich mich dem Niveau anpassen muss.“

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07.10.2021, 13:52 Uhr01:05 Min.Kehrer über Messi: ‘Ein einfacher Typ, sehr bodenständig’

Das verbessert auch sein Standing in der Nationalmannschaft. Wenn die Deutschen an diesem Freitag in Hamburg in der WM-Qualifikation auf Rumänien treffen (20.45 Uhr/RTL), wird Kehrer im vierten Spiel unter Flick zum vierten Mal hintereinander in der Startelf stehen. Das gab es noch nie, seitdem er 2018 in der Nationalmannschaft debütiert hat. Allerdings wird Kehrer erneut nicht in der Innenverteidigung auflaufen. Flick setzt in der Zentrale auf Antonio Rüdiger und Niklas Süle, die sich als neues Duo gefunden haben und die, so der Bundestrainer „eine gute Stabilität in der Defensive“ garantieren.

Aber Kehrer hat den Vorzug, dass er in der Defensive auf vielen, eigentlich sogar auf allen Positionen einsetzbar ist, notfalls selbst als Sechser, wie Flick erklärt. „Ich denke, dass ich als Innenverteidiger der beste Spieler sein kann, der ich sein kann“, sagt Kehrer. Aber ihm falle es nicht schwer, sich schnell umzustellen. Als rechter Außenverteidiger ist der Pariser schon unter Löw häufiger aufgelaufen, aktuell aber ist er für eine Rolle vorgesehen, die er „auch schon ein paar Mal“ gespielt habe: als Linksverteidiger.

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„Ich weiß, wo Hansi mich sieht“, sagt Kehrer. Und auf die Nachfrage, wo das sei: „Ich denke, die letzten Spiele haben schon ein bisschen was verraten, aber vielleicht gibt es auch eine Überraschung.“ Davon ist nicht auszugehen, nachdem Kehrer zuletzt zweimal hinten links gespielt hat. Zumal auf dieser Position durch den verletzungsbedingten Ausfall von Robin Gosens durchaus Bedarf besteht. Alternativ käme nur David Raum infrage, der es auf die geballte Erfahrung von acht Minuten in der Nationalmannschaft bringt und seine Stärken, ähnlich wie Gosens, vor allem in der Offensive hat.

Mit dem gelernten Innenverteidiger Kehrer wäre die Viererkette besser ausgewuchtet, weil Flick schon auf der rechten Seite mit Jonas Hofmann einen Spieler aufbieten dürfte, der vor allem offensiv denkt. Wenn der Gladbacher sich in der Nähe der gegnerischen Torlinie herumtreibt, verschieben sich die drei verbliebenen Viererkettenmitglieder nach rechts und formen ein Art Dreierkette. Hört sich kompliziert an, ist für Kehrer aber kein Problem. Am Freitag, bei der Pressekonferenz vor dem Spiel gegen Rumänien, sollte er den Begriff „Abkippender Sechser“ so erklären, dass ihn auch Kinder verstehen. Thilo Kehrer hatte damit keinerlei Probleme.