Junge Frau mit Liebesgott
Das Gemälde des „Brieflesenden Mädchens“, das Jan Vermeer um 1658 gemalt hat, gilt als Inbild von Einkehr und Weltentrückung. Eine junge, im Profil wiedergegebene Frau, steht am offenen Fenster und hält ein Schreiben in der Hand, in das sie vertieft ist. Sie ist umgeben von Gegenständen, wie sie im Frühbarock zur Ausstattung vieler wohlhabender bürgerlicher Familien in Delft gehört haben dürften, der Stadt, in der der Maler lebte und arbeitete.
Auf dem Tisch im Vordergrund liegt ein aufgefalteter orientalischer Teppich, darauf steht eine Obstschale mit Äpfeln und Birnen.
Ein intimer Moment am Fenster
Das Licht fällt so auf die Frau, dass sich ein Teil ihres Gesichts im Fenster spiegelt. Der Eindruck der Kontemplation wird von der leeren, grauweißen Wand hinter ihr gesteigert. Vielleicht liest sie einen Liebesbrief, so spekulierten jedenfalls Generationen von Kunsthistorikern. Als Betrachter fühlt man sich wie ein Voyeur, der Zeuge eines intimen, eigentlich nur der Dargestellten gehörenden Moments wird.
Denn am rechten Bildrand hat Vermeer einen genialen Trompe-l’œil-Effekt gesetzt. Dort hängt ein Samtvorhang, wie er von Sammlern benutzt wurde, um Gemälde vor Staub zu schützen. Er ist zur Seite gezogen, als wollte der Maler rufen: Seht her und schaut!
Man kann jetzt genauer hingucken und hat ein anderes, neues Bild vor sich. Wobei „neu“ nicht stimmt, denn es handelt sich um das alte Gemälde, so wie es einst Vermeers Atelier verlassen hatte.
Einer der größten Schätze der Dresdner Gemäldegalerie
Nun ist die Wand hinter der Briefleserin nicht länger leer. Dort hängt – ein Bild im Bild – das Gemälde eines thriumphierenden Amors. Der Liebesgott ist mit Bogen und Pfeilen ausgestattet, den Instrumenten seines kupplerischen Wirkens. Einer seiner Pfeile könnte die Leserin getroffen, aus ihr eine Liebende gemacht haben.
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Die „Briefleserin“ gehört zu den berühmtesten Schätzen der Dresdner Gemäldegalerie Alte Meister. Das Bild war 1742 vom sächsischen Kurfürsten Friedrich August II. in Paris erworben worden, wohl damals bereits mit übermalten Cupido. Von dessen Vorhandensein hatte man gewusst, seitdem die Leinwand 1979 mit Röntgenstrahlen durchleuchtet worden war. Vier Jahre lang, seit 2017, ist der Vermeer in der Werkstatt der Staatlichen Kunstsammlungen restauriert worden. Die großflächige Übermalung auf der Hinterwand wurde dabei entfernt. Sie stammte, wie Untersuchungen zeigten, nicht von Vermeer, sondern wurde nach seinem Tod hinzugefügt.
Warum? Aus Scham, um die Nacktheit des Liebesgottes zu kaschieren? Ab dem 10. September ist das Bild wieder zu sehen, als Mittelpunkt einer Ausstellung über Vermeer und das Goldene Zeitalter der Holländischen Malerei. Ihr Titel: „Vom Innehalten“.