Putin und der Schneeleopard
Das Russische Haus in Berlin schickt eine Einladung. Da schaut man jetzt genauer hin und fragt sich: Geht das überhaupt, in diesen Zeiten? Das russische Militär bedroht übermächtig die Ukraine, der russische Präsident schreibt Geschichte um auf eine Art, die in zurückliegenden Jahrhunderten immer nur eines bedeutete: Krieg, Verderben, Untergang. Und eine Ausstellung im Russischen Haus in der Friedrichstraße will auf das weltweite Artensterben aufmerksam machen, gemeinsam mit dem NABU, dem Naturschutzbund Deutschland?
Eine bedrohte Art aus dem zentralasiatischen Hochgebirge sei der Schneeleopard, die Großkatze ein Verlierer des Klimawandels, der Wilderei und der zunehmenden Ausbreitung des Menschen, heißt es in der Mail zur „Expedition Schneeleo“. Besucher sollen „auf interaktive Weise erfahren, wie der Schneeleopard lebt, welchen Gefahren er ausgesetzt ist und was jeder beitragen kann, um ihn zu schützen.“
Artenschutz in Zeiten des Kriegs
Geht es noch? Ist das nicht blanker Zynismus, ein plumper Versuch der Ablenkung? Was ist mit den Menschen in Mariupol, Charkiw, Kiew, in den Grenzgebieten? Wer fragt nach ihnen, wenn eine Invasion kommt? Dann werden auch junge russische Soldaten sterben – wozu? Und der Schneeleopard erfreut sich internationaler interaktiver Unterstützung …
Die Entfremdung hat schon früher eingesetzt. Deutsch-russischer Kulturaustausch war einmal intensiver, breiter, seltsamerweise besonders im Kalten Krieg. Jene Jahre und Jahrzehnte wirken im Nachhinein relativ friedlich; wie oft heißt es, man habe es damals mit verlässlichen Personen im Kreml zu tun gehabt.
Längst passé, wenn es denn jemals stimmte. Die Einnahme der Krim, der brutale Umgang mit Oppositionellen, Manipulationen im Sport, Hackerangriffe, Russlands Komplizenschaft mit dem Schlächter Assad in Syrien, die ominösen Beziehungen zu Trump, der den Aggressor Putin feiert – da bleibt nicht viel Verständnis. Im Grunde kündigt sich seit geraumer Zeit eine massive Eiszeit an. Dabei denkt man auch an den Regisseur Kyrill Serebrennikow, der jahrelang schikaniert und festgesetzt wurde in Moskau und aus seiner Wohnung heraus arbeitete, auch für eine Koproduktion mit dem Deutschen Theater Berlin.
Abwendung hilft nur Putin
Die russische Führung scheint bereit zu sein, alle kulturellen Gemeinsamkeiten aufzugeben. Was ist noch die große Ausstellung „Diversity United“ wert, die in Tempelhof von Bundespräsident Steinmeier eröffnet worden war? Außenministerin Annalena Baerbock hat die Schau vor ein paar Wochen in der Neuen Tretjakow Galerie besucht, wo sie seit November läuft. Schönes Beiwerk?
All das wirkt jetzt schal und eitel, man will sich abwenden. Aber ist es nicht genau das, wonach Putin trachtet? Dass man sein Reich in Ruhe lässt mit solchen dekadenten Sachen? Mit der Freiheit der Kunst und der Medien kann der Autokrat nichts anfangen, das stört nur, das kann weg. Die Frauen von Pussy Riot haben das Bedrohliche verstanden, die Gefahr. Daher die Radikalität ihrer Auftritte. Putin will diese Welt nicht, er will eine andere. Mit Gewalt.
Dem muss man sich, wenn auch mit Widerwillen, widersetzen. Russland ist tief verwurzelt in der europäischen Kultur. Das darf man im Westen nicht vergessen. Sonst wird ihm in die Hände gespielt: Putin spricht der Ukraine das Existenzrecht ab, auch weil das Land ihm zu westlich und freiheitlich orientiert ist, seit dem Ende der Sowjetunion. Und auch davor hatte die Ukraine ihre eigene Geschichte. So wie russische Künstler sich stets nach Westen wandten – die Ausstellung der russischen Impressionisten im Museum Barberini in Potsdam hat es eindrucksvoll gezeigt.
Der Chefdirigent der Berliner Philharmoniker stammt aus Russland, Kyrill Petrenko. Turgenjew und Flaubert waren enge Freunde. Die Klassiker der russischen Literatur, der Musik, des Balletts haben sich künstlerisch mit dem Westen auseinandergesetzt, Inspiration gesucht, unsere Moderne mit geprägt. Das Selbstverständliche muss bleiben.
Der Schneeleopard? Zentralasien? Aber auch die Situation in der Ukraine erschien weit entfernt, betraf uns die meiste Zeit nicht wirklich, vom Erdgas abgesehen. Es ist eine Zeit bitterer Lektionen über die eigene Ignoranz.