Wie braun waren die Hohenzollern?
Welche Rolle spielte die Familie des letzten deutschen Kaisers beim Untergang der Weimarer Republik? Hatte Adolf Hitler seinen Aufstieg zum Reichskanzler auch der Unterstützung der Hohenzollern zu verdanken? Diese Fragen sind der Kern einer Auseinandersetzung, die seit 2019 mit großer Leidenschaft geführt wird.
Damals war publik geworden, dass die Hohenzollern von der öffentlichen Hand eine Millionenentschädigung und die Restitution von Kulturgütern verlangen. Mit der Begründung, der Ex-Kronprinz Wilhelm habe dem Nationalsozialismus „erheblichen Vorschub“ geleistet, wies das Land Brandenburg die Forderung zurück. Nach dem Scheitern von Gesprächen über eine gütliche Einigung liegt der Fall nun beim Potsdamer Verwaltungsgericht.
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Der Hohenzollern-Prinz Wilhelm ist zur Hauptfigur des Streits geworden, weil er das Familienoberhaupt war, als deren Besitz in Ostdeutschland nach 1945 auf Anordnung der Sowjetischen Militäradministration enteignet wurde. In der Geschichtswissenschaft hatte der letzte Kronprinz, der 1923 aus dem holländischen Exil nach Deutschland zurückgekehrt war, aus seiner Verachtung für die Weimarer Republik kein Hehl machte und eher als Playboy denn Politiker galt, bislang kaum eine Rolle gespielt.
Wilhelm bewunderte Mussolini
Doch in diesem Jahr veröffentlichten die Historiker Lothar Machtan und Stephan Malinowski kurz nacheinander Biografien über ihn. Wilhelm war, darin sind sich beide Autoren einig, ein radikaler Anti-Demokrat, der Mussolini bewunderte und zeitweilig mit Hitler zu paktieren versuchte, um seinen illusionären Traum vom Kaiserthron zu verwirklichen.
Der Ex-Kronprinz hatte 1932 bei der Reichspräsidentenwahl zur Wahl von Hitler aufgerufen und sich später damit gebrüstet, ihm zwei Millionen Stimmen verschafft zu haben. Er protestierte im selben Jahr gegen das Verbot von SA und SS und war am 21. März 1933 zur Stelle, als die Nationalsozialisten beim „Tag von Potsdam“ den Schulterschluss der alten und neuen Eliten inszenierten. Malinowski spricht in seinem Buch, das das Zeug zum Standardwerk hat, von einer „Guerilla“, einem Kleinkrieg, den die Hohenzollern gegen die Republik führten.
Aber reicht das aus für den ominösen und schwer objektivierbaren juristischen Begriff des „erheblichen Vorschubs“? Die Herausgeber eines jetzt herausgekommenen Sammelbandes über „Die Hohenzollern Debatte“ meinen: nein. Frank-Lothar Kroll, Neuzeithistoriker an der TU Chemnitz, attestiert Wilhelm ein „eher randständiges Engagement“ bei der Etablierung der nationalsozialistischen Diktatur. Er habe sich zwar bei Hitler angebiedert, aber eine ambivalente Haltung zu dessen totalitärer Ideologie an den Tag gelegt. Beim medial ausgeschlachteten Tag von Potsdam sei er bloß ein Statist gewesen.
Die Nazis wollten keinen Kaiser
Ähnlich sieht es der Bonner Rechtswissenschaftler Christian Hillgruber. Die Nationalsozialisten wären nur ungern mit dem als reaktionär geltenden Ex-Kronprinzen in Verbindung gebracht worden, statt auf die Restauration der Monarchie hätten sie auf eine völlig neue Gesellschaftsordnung gezielt, die egalitäre „Volksgemeinschaft“. Den Tatbestand des „erheblichen Vorschubs“, zu dem Handlungen „in einer gewissen Stetigkeit“ gehörten, hält er für nicht gegeben. Für Michael Wolffsohn, ehemals Professor für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr München, verstößt das 1994 verabschiedete Ausgleichsleistungsgesetz, aus dem die „Vorschub“-Formulierung stammt, „gegen den Geist unserer Rechtstradition“. Der jetzigen Kontroverse liege die „Unethik der Sippenhaftung“ zugrunde.
Einen Konsens wird es in diesem geschichtspolitischen Streit nicht geben. Nachdem Malinowski in seinem Buch nicht bloß die Kollaboration des Ex-Kronprinzen beschrieben, sondern auch die lavierende Vergangenheitsbewältigung seiner Nachfahren kritisiert hatte, folgt mit dem Debatten-Band nun die Kritik dieser Kritik. Bei der Vorstellung des Buches am Montag in Berlin sagte Kroll, dass die Herausgeber bewusst eine Gegenposition zu Malinowski und seinen Unterstützern setzen wollten. Deutschland sei „mit seiner monarchischen Tradition nicht im Reinen“, bei dem Thema bekämen viele Menschen sofort „Schnappatmung“. Er wünscht sich „ein bisschen mehr Inklusion dieser Tradition“ in die Geschichtskultur der Bundesrepublik.
Den Staat von innen ausgehöhlt
So klar wie die Herausgeber schlagen sich allerdings nicht alle Autoren des Buches auf die Seite der Hohenzollern. Peter Brandt, emeritierter Neuzeithistoriker der Fernuniversität Hagen, hatte 2019 genau wie Stephan Malinowski als Gutachter des Landes Brandenburg die Frage des erheblichen Vorschubs durch den Ex-Kronprinzen bejaht. Heute würde er sich auf die V-Frage allerdings nicht mehr einlassen, sagte er, weil sie für Historiker „nicht weiterführend“ sei. Der Beitrag, den Brandt mit Lothar Machtan für den Sammelband geschrieben hat, beschreibt, wie nationalkonservative Kräfte in den frühen Dreißigerjahren den Staat quasi von innen ausgehöhlt haben.
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Ihr paramilitärischer Arm war der Stahlhelm-Verband, bei dem Ex-Kronprinz Wilhelm mehrfach auftrat. Wilhelm bewegte sich 1932 in den Kulissen der Macht, traf sich mit nationalsozialistischen Größen, sondierte seine Chancen als Kandidat fürs Amt des Reichspräsidenten und schreckte davor zurück, als sein Vater, Ex-Kaiser Wilhelm, ein Veto einlegte. Bei den Verhandlungen, die Hitler schließlich zur Kanzlerschaft verhalfen, war Wilhelm schon wieder aus dem Spiel. Für Brandt und Machtan ist klar, wer dafür die Hauptverantwortung trägt: Reichspräsident Hindenburg und seine Einflüsterer wie Franz von Papen und Alfred Hugenberg. Hindenburg hasste die Hohenzollern (was andersrum nicht besser war), und am Ende habe er die Macht nur mit einem teilen wollen: mit Hitler.
[„Die Hohenzollern Debatte“, herausgegeben von Frank-Lothar Kroll, Christian Hillgruber und Michael Wolffsohn, Duncker & Humblot, 430 Seiten, 29,90 €]
Wissenschaft ist nicht immer nüchtern, mit Polemik wird nicht gespart im Hohenzollern-Streit. Von „Enteignungsapologeten“ und einem angeblichen „Mainstream“ von Historikern mit abweichender Meinung ist im Buch die Rede. Herausgeber Kroll bezeichnet Malinowski und eine Kollegin als „Stubenjakobiner“. Jakobiner, sagte er am Montag, würden den Kopf des Königs fordern. Sein Ausdruck sei aber nur als Bild gemeint.