Hoffen auf die alten Tricks
In Bremen hat man durchaus Humor. Doch angesichts der bangen Sorge um Werder Bremen, den Herzensverein der Stadt, ist es in diesen Tagen eher Galgenhumor. Als am vergangenen Sonntag Trainer-Urgestein Thomas Schaaf als Last-Minute-Retter bei Werder vorgestellt wurde, da ätzte so mancher, ob er denn Ur-Urgestein Otto Rehhagel als Co-Trainer mitbringen würde. Kein Wunder, Werders Mann für die unmittelbare Zukunft ist ein Held von vorgestern. Und das sagt viel über den Grad der Verzweiflung an der Weser.
Heute gegen 17.30 Uhr kann für Werder alles passiert sein: Rettung, Relegation oder der erste Abstieg aus der Bundesliga nach 41 Jahren. Das Duell mit Borussia Mönchengladbach wird ein Ritt auf der Rasierklinge. Die Bremer liegen vor dem letzten Spieltag auf dem Relegationsplatz, mit einem Punkt Vorsprung auf den 1. FC Köln und einen Punkt hinter Arminia Bielefeld auf dem 15. Tabellenrang.
Nur einen mageren Punkt haben die Norddeutschen aus den letzten neun Spielen geholt, haben seit zwei Monaten nicht mehr gewonnen. Florian Kohfeldt konnte den Negativtrend, der um Ostern herum eingesetzt hatte, nicht stoppen und musste doch noch gehen. „Die Mannschaft hat den Glauben an ihn verloren“, erklärte Werders Sportchef Frank Baumann die späte Entlassung, die vielen in Bremen viel zu spät kam.
Schaaf bringt die alte Schule zurück
Das Projekt Kohfeldt und der neue Werder-Weg sind damit gescheitert. Der eloquente, aufstrebende 38-Jährige sollte mit seiner Philosophie vom attraktiven Besitzfußball an alte Erfolgszeiten bei den Grün-Weißen anknüpfen. Gerne wollte man Kohfeldt zum Bremer Jürgen Klopp machen. Aber statt Innovation folgt nun Altbekanntes. Schaaf, seit drei Jahren beim SVW als Technischer Direktor für die Trainerausbildung engagiert, soll Werder also retten, mal wieder.
1999 war ihm das als Nachfolger von Felix Magath tatsächlich gelungen und er setzte sogar den Pokalsieg noch obendrauf. Es war der Beginn der 14-jährigen Schaaf-Ära bei Werder, doch damals blieben ihm vier Spieltage für die grün-weiße Rettungsmission. Jetzt hat er bloß fünf Tage, um den Abstieg irgendwie zu verhindern. „Ich weiß, das ist eine Herausforderung“, sagte Schaaf. Es klingt wie die Untertreibung des Jahres.
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Schaafs Heldentaten, zu denen besonders der Double-Sieg 2004 zählt und für den man ihn bis heute in Bremen verehrt, sind jedoch lange her. Und zur Wahrheit gehört auch, dass Schaaf 2016 von Hannover 96 als Feuerwehrmann gerufen wurde und in 91 qualvollen Tagen und elf Spielen zehn Niederlagen bei einem Sieg zustande brachte. Wunder gelangen Schaaf nur an der Weser, schon als Spieler mit fünf Titeln, aber er kennt eben nur alte Tricks. Der 60-Jährige wirkt in der modernen Fußball-Welt ein wenig aus der Zeit gefallen.
Seit dem ersten Training im Quarantäne-Trainingslager in Barsinghausen bei Hannover heißt es bei den Werder-Spielern plötzlich „Herr Schaaf“ und nicht mehr „Flo“. Statt Tablets lässt der Interimscoach einen großen Flipchart auf den Rasen rollen, für die Taktikerklärungen per Filzstift. Und während der Übungen gellt die gute alte Trillerpfeife über den Platz. Ziehvater Rehhagel wäre stolz auf ihn. Doch trifft der etwas brummige Schaaf mit seiner borstigen Art die richtige Ansprache? Oder ist es egal, wer es sagt – Hauptsache, nicht Kohfeldt?
Offensiv gegen die vielen Probleme
„Herr Schaaf hat einen klaren Plan, eine klare Idee. Die will er uns vermitteln“, beschrieb Abwehrchef Ömer Toprak die Ad-hoc-Methode des neuen Chefs. „Wir haben zu viel über uns ergehen lassen“, sagt Schaaf, „wir müssen dominanter auftreten.“ Doch wie? Kohfeldt hatte aus der Not heraus extrem defensiv und damit destruktiv spielen lassen. Werders Offensive ist ein Problem. Aus dem eigenen Spielaufbau gelingt es nicht, Chancen zu kreieren. „Ich glaube an diese Mannschaft“, betont Schaaf: „Wir können nur alles reinhauen. Ich trete immer an, das Maximale zu erreichen.”
Er wird in diesem wichtigen Spiel wohl auf Angriff setzen, weil er es muss. Der Abstieg wäre der GAU für den Klub. Werder ist auch wirtschaftlich am Ende, soll mit 75 Millionen Euro verschuldet sein und versucht, mit Mittelstandsanleihen als letztem Verzweiflungsakt, Geld einzutreiben. Um die Lizenz nicht zu gefährden, braucht Werder im Sommer einen Transferüberschuss von knapp zehn Millionen Euro. Doch das Tafelsilber glänzt längst nicht mehr. Die Ironie dabei ist, dass Schaaf, als er vor fast genau acht Jahren entlassen wurde, Werders Talfahrt längst mit eingeläutet hatte, aus der er den Klub nun wieder erretten soll.
Am Bremer Rathaus wurde am Freitag solidarisch die Werder-Flagge gehisst. Auch die Stadt braucht Werder und wird hoffen, dass die Flagge am Samstag nicht auf Halbmast hängt.