Nichts machen ist keine Option
Als Frau zu überleben, sei wirklich schwer, spricht das Mädchen im roten Sari in die Kamera. „Gibt es keinen anderen Weg für uns Frauen als den des Leides?“, fragt sie mit tränenfeuchtem Blick.
Die Szene aus Michael Glawoggers Dokumentarfilm „Whore’s Glory“ (2011), in dem eine 15-jährige Zwangsprostituierte aus Bangladesch ihr Schicksal beklagt, ist der Auslöser für die filmische Spurensuche „Was tun?“, die der auch als Schauspieler bekannte Regisseur Michael Kranz unternommen hat.
Ein Europäer befragt sich selbst
„Warum sehe ich mir das Leid an, wenn doch klar ist, dass ich nichts dagegen tue. Soll ich abstumpfen, umschalten, vergessen – wie so oft?“, kommentiert Kranz als Ich-Erzähler das moralische Dilemma privilegierter Europäer. „Haben wir eine globale Verantwortung?“, geht die ethische Selbstbefragung weiter.
Die persönliche Antwort des Absolventen der Münchner Hochschule für Film und Fernsehen lautet: ja. „Aus guten Gründen nichts getan, habe ich oft genug.“
Er folgt dem inneren Impuls, das Mädchen aus dem Film des 2014 verstorbenen Glawogger in Bangladesch zu suchen. Kranz reist nach Faridpur und hält den Männern an Marktständen sein Handy mit dem Videobild des Mädchens unter die Nase.
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Ab jetzt ist der Ich-Erzähler nicht nur Stimme, sondern auch sichtbar, er wird schließlich sogar zum Aktivisten. Fast so, als hätte er Susan Sontag gelesen, die in ihrem dieser Tage wieder hoch aktuellen Kriegsfotografie-Essay „Das Leiden anderer betrachten“ über Aufnahmen des Elends feststellt: „Das Bild sagt: Setz dem ein Ende, interveniere, handle. Und dies ist die entscheidende, die korrekte Reaktion.“ Übersetzt als Intention eines Dokumentarfilms kann sie allerdings zwiespältig sein.
[In den Berliner Kinos Delphi Lux, Eva Lichtspiele, Moviemento.]
Michael Kranz zeigt sich in „Was tun“ als sympathischer, glaubwürdiger Menschenfreund, der ernsthaft erschüttert ist über die Armut, Gewalt und gesellschaftliche Ächtung, die die Prostituierten in Faridpur erfahren. Gleichzeitig weiß er als Schauspieler und Regisseur sehr wohl, wie man sich vor diesem Hintergrund als guter Europäer inszeniert. Etwa in seiner Freundschaft mit Redoy, einem aufgeweckten Jungen, der unfreiwillig mit seiner Schwester in einem Bordell lebt und dem Filmemacher bald nicht mehr von der Seite weicht.
Die Familien wollen sie nicht wieder aufnehmen
Genauso wie die Frauen selbst, sind die Kinder und Geschwister von Zwangsprostituierten Personae non grata in der muslimischen Gesellschaft von Bangladesch, die Sexualität rigide ausblendet. Hierarchien und Korruption sind allgegenwärtig. Einmal an ein Bordell verkauft, verschleppt oder erzwungen, ist den Frauen der Weg in Arbeitsstellen ebenso verwehrt, wie der zurück zu ihren Familien, die die „Entehrten“ nicht wieder aufnehmen wollen. Stattdessen werden Entkommene in einem „Regierungsheim“ hinter Stacheldraht weggeschlossen.
Keine Schule nimmt ihre Kinder auf, weil sich die Eltern der anderen Schüler empören würden. Es ist ein Teufelkreis aus Armut und Abhängigkeiten, wie Michael Kranz in Gesprächen mit Prostituierten, Zuhälterinnen und einem Ehepaar erfährt, dass in Bangladesch den ersten Verein für die Opfer sexualisierter Gewalt gegründet hat. Als Hafeza von einer Madam (vulgo: Puffmutter) krankenhausreif geprügelt wird, helfen sie ebenso wie das Filmteam.
Auch Nupur findet der Filmemacher schließlich
Zu diesem Zeitpunkt ist der Dokumentarfilmer schon längst kein Beobachter mehr. Nach einem Facebook-Post von Kranz kommen in Deutschland schnell 8000 Euro zusammen. Der Grundstock für ein Kinderheim, das er zusammen mit dem Ehepaar einrichtet und bis heute mit einem Verein unterstützt.
Auch Nupur, die junge Frau aus dem Glawogger-Film, findet der Filmemacher schließlich – und verschafft ihr den ersehnten Ausbildungsplatz als Kosmetikerin. „Ich war in der Dunkelheit und nun bin ich im Licht“, sagt sie, auch wenn ihr Ausstieg aus der Prostitution nicht gänzlich gelingt, wie man im Abspann erfährt.
Die Kamera als Waffe gegen Ungerechtigkeit
„Was tun?“ ist ein engagierter, bewegender, künstlerisch ambitionierter Film. Und doch berührt er merkwürdig. Michael Kranz und seinem Team öffnen sich ob ihrer Hautfarbe und ihrer Herkunft in Bangladesch Türen von Amtsträgern, die vielen Einheimischen verschlossen bleiben. Erst wundert sich Kranz darüber, dann nutzt er es offensiv für eine Hilfsmission.
Die Kamera kann eine Waffe im Kampf gegen Ungerechtigkeiten sein. Zugleich ist sie das Werkzeug einer Selbstinszenierung. Die kommt hier zwar ohne paternalistische Geste aus, trotzdem spart der naive Gestus von „Was tun“ eine Reflektionsebene aus. Nupur und den Bordellkindern, die Obdach in dem von Michael Kranz mitgegründeten Heim in Faridpur gefundenen haben, wird das piepegal sein.