Hertha BSC und der Rückfall in alte, schlechte Muster
Es ist ja nicht so, dass Pal Dardai die Dinge einfach hätte laufen lassen. Der Trainer von Hertha BSC erkannte schon früh die Probleme im Spiel seiner Mannschaft; mehrmals rief er das Codewort „Block“ von der Bank aus aufs Spielfeld, das Signal an alle, fünf Meter einzurücken, um mehr Kompaktheit herzustellen. Und als sich die Belegschaft nach dem Halbzeitpfiff Richtung Kabine bewegte, schlug Dardai den entgegengesetzten Weg ein, fing Kevin-Prince Boateng und Lucas Tousart, die beiden zentralen Mittelfeldspieler, noch auf dem Rasen ab und erläuterte ihnen seine Korrekturwünsche.
Der erhoffte Effekt aber stellte sich nicht ein. Aus dem 1:1 zur Pause wurde in den ersten zehn Minuten nach dem Wiederanpfiff ein 1:3, und weil es gegen den 1. FC Köln dabei bis zum Schluss blieb, starteten die Berliner erstmals seit der Abstiegssaison 2011/12 mit einer Niederlage in eine neue Spielzeit der Fußball-Bundesliga.
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In seinen ersten Statements nach dem Spiel hatte Trainer Dardai auf die Frage, wie es dazu kommen konnte, noch seine Ratlosigkeit offenbart. Doch das, so erklärte er am Tag danach, war nur eine Notlüge. Unmittelbar unter dem Einfluss des Spiels und der frustrierenden Niederlage wollte er bei seiner Analyse nicht zu sehr in die Tiefe gehen. Vermutlich um sich und vor allem seine Mannschaft zu schützen.
Das Versäumte holte Dardai einen Tag später nach. „Natürlich kann man das erklären“, sagte der er. „Wir waren nicht in der Lage, vom Fußballmodus in den Kampfmodus zu gehen.“ Eine halbe Stunde lang lief für die Berliner in Köln vieles nach Plan. Hertha ging früh in Führung, der FC wirkte mit der Spielgestaltung weitgehend überfordert, und das Publikum im Stadion wurde schon sehr früh sehr grummelig. Doch diesen Vorteil gaben die Berliner allzu leichtfertig aus der Hand – was Erinnerungen an die Vorsaison wachrief, als Hertha nur mit viel Mühe den Abstieg verhindern konnte.
Die drei Gegentore folgten alle dem gleichen Muster
In schwierigen Phasen mangelt es dem Team immer noch an Widerstandsfähigkeit. Es neigt schnell zu Nachlässigkeiten und lässt dann die Gier vermissen, das eigene Tor mit aller Macht und vor allem im Verbund zu verteidigen. Bei den drei Treffern der Kölner war das auf erschreckende Weise zu erkennen – weil sie alle dem gleichen Muster folgten. Alle drei wurden von außen eingeleitet, weil der Vorlagengeber so gut wie keinen Gegnerdruck zu spüren bekam.
Wenn der Gegner den Widerstand erhöht, „dann sind wir nicht aggressiv genug. Anstatt nach vorne zu verteidigen, machen wir einen Schritt nach hinten“, sagte Dardai. Das Problem ist nicht neu, seit Monaten schon arbeite man daran. „Wahrscheinlich ist das eine psychologische Sache. Das letzte Jahr steckt noch tief drin.“
Gegen die Kölner mit ihrer Mittelfeldraute hatte Dardai sich für das gleiche System entschieden wie beim 1:0-Sieg gegen den SV Meppen eine Woche zuvor im DFB-Pokal. Allerdings notgedrungen in anderer personeller Besetzung. Davie Selke fehlte wegen einer leichten Gehirnerschütterung. Und obwohl der Stürmer immer noch gegen latente Bedenken auch der eigenen Fans anspielt, obwohl er von Matheus Cunha, einem leibhaftigen Olympiasieger, ersetzt wurde, hatte sein Ausfall gravierende Auswirkungen auf Herthas Spiel.
„Natürlich fehlt er“, sagte Dardai. Selke presst und stresst den Gegner. „Davie spaziert nicht, Davie kämpft.“ Bei Selkes Vertreter Matheus Cunha war es in Köln genau umgekehrt, zumindest nach der ersten halben Stunde, in der Hertha die Angelegenheit noch weitgehend im Griff hatte. „Wir wollten Kölns Raute ausnutzen für uns“, sagte Dardai. „Die erste halbe Stunde hat es funktioniert.“
Cunha – der Spaziergänger von Köln-Müngersdorf
Weil Cunha seinem taktischen Auftrag folgte; weil er Kölns Sechser Ellyes Shkiri zustellte und dadurch das Aufbauspiel des FC weitgehend lahmlegte. Nach einer halben Stunde aber verlor Cunha offenbar die Lust an dieser Aufgabe, lustwandelte stattdessen durchs Niemandsland. Die Niederlage sei nicht allein die Schuld des Brasilianers, erklärte Dardai, aber „taktische Disziplin gehört dazu, sonst rutscht alles weg“.
Erst unter der Woche hatte Herthas Trainer Cunha und seine fußballerischen Fähigkeiten noch einmal hymnisch besungen: Was Cunha könne, könnten auf der ganzen Welt noch zehn andere Spieler. Ein Genie sei er, hatte Dardai zudem bei früherer Gelegenheit gesagt. Aber gegen den Ball geht dem Spiel des Brasilianers alles Genialische ab. Da macht er am liebsten sein eigenes Ding. „Das ist ein schlechter Automatismus“, sagte Dardai.
Von diesen schlechten Automatismen stecken noch einige in Herthas Mannschaft. Das hat die deprimierende Niederlage in Köln gezeigt. Aber vielleicht entfaltet ihr Zustandekommen ja so etwas wie eine therapeutische Wirkung. „Jetzt wissen wir, wo wir stehen, jetzt können wir arbeiten“, sagte Pal Dardai. „Eine kalte Dusche schadet nicht.“