Gutachten zum Schloss-Spender Bödecker: Die NS-Verbrechen hat er relativiert
Nun kann man es in voller Länge nachlesen, das Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte zu Ehrhardt Bödecker und seiner „Position in historisch-politischen und historiographischen Themen“. Der 2016 verstorbene Berliner Bankier und Großspender des Humboldt Forums war zum Streitfall geworden, als durch einen Tagesspiegel-Beitrag des Architekten Philipp Oswalt 2021 antidemokratische und antisemitische Äußerungen aus Bödeckers späten Lebensjahren bekannt wurden. Seine Familie ließ die Ehrentafel alsbald aus dem Eosander-Portal des Humboldt Forums entfernen.
Als die Stiftung im November 2022 zunächst nur das Resümee der von ihr beauftragten Überprüfung von Bödeckers Schriften publik machte, zog sie den befremdlich formulierten Schluss, Bödecker sei „weder rechtsextremistisch noch in einem rechtsradikalen Sinne antisemitisch“ gewesen.
Die Lektüre des Gutachtens von Magnus Brechtken und Gregor Hofmann erhellt nun, was damit wohl gemeint ist. Es finden sich so gut wie keine offen judenfeindlichen Äußerungen in seinen Vorträgen und Texten. Aber eine Fülle von antisemitischen Topoi und Denkmustern, mit denen er die NS-Verbrechen mit zunehmendem Alter relativierte. Wer Bödecker zu Unrecht diffamiert sah, wird eines Besseren belehrt.
Gutachten zum Humboldt-Großspender: Hier können Sie den gesamten Text nachlesen – zum Herunterladen Symbol links klicken
Da sind zum einen die Entlastungsargumente des Preußen-Fans und Hobby-Historikers, der seine Texte mehr und mehr in einem Spektrum von „Blättern zwischen Konservatismus und Rechtsextremismus“ veröffentlichte (wie das Gutachten den Neue-Rechte-Experten Anton Maegerle zitiert). Den Nationalsozialismus erklärte Bödecker zu einer Art Betriebsunfall der deutschen Geschichte, etwas, das von außen nach Deutschland hereingetragen wurde. Gerne verwies er auf die Integration jüdischer Deutscher im Kaiserreich, früher war angeblich alles bestens. Dabei ignorierte er den Stand der wissenschaftlichen Forschung.
Rassismus und Antisemitismus sah er vor allem als britische und amerikanische Importe. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg habe es englische Konzentrationslager gegeben, Sklavenhaltung und Rassendiskriminierung seien Teil der amerikanischen Geschichte, „an Verbannung und Arbeitslager war die russische Bevölkerung gewöhnt“, heißt es im Band „Die europäische Tragödie“ von 1998.
Da ist zum anderen der sogenannte sekundäre Antisemitismus, der die Juden zu Störenfrieden einer positiven Geschichtsbetrachtung erklärt, weil sie Schuldgefühle bei den Tätern und ihren Nachfahren wecken. „Die Verbrechen an den Juden“, schrieb er, „lasteten zu schwer auf uns Deutschen. Sie stellten sich wie eine Mauer vor die vorurteilsfreie Behandlung unserer Geschichte.“ Verkehrte Logik: Nicht für die Opfer, sondern für die Täter ist die Schoah eine Bürde.
Er verwahrte sich dabei auch gegen die Reeducation der Alliierten, sprach von „Umerziehungswelle“ und „-propaganda“, befördert von „marxistisch-sozialistisch“ beeinflussten Emigranten wie Karl Barth, Marcuse, Adorno und Horkheimer. Entschädigungsforderungen könnten auch deshalb mit Erfolg gestellt werden, weil die Fordernden „über Einfluss und Macht von Medien verfügen“: das alte Verschwörungs-Stereotyp von der meinungsmachenden Presse in jüdischer Hand.
Warum machte die Stiftung Humboldt Forum bisher nur die dreiseitige Bilanz publik und stellt erst jetzt das gesamte Gutachten zur Verfügung? Weil dafür teils persönliche, vertrauliche Daten verwendet wurden, so eine Mitteilung der Stiftung. Wegen Persönlichkeitsrechten habe Bödeckers Familie einer Veröffentlichung nicht zugestimmt. Eine Prüfung nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) habe jedoch gezeigt, dass sie dennoch möglich sei. Unter anderem der Tagesspiegel hatte mit Verweis auf das IFG um Herausgabe gebeten.
Nun sind es nicht die Einblicke in die Vita Bödeckers, Jahrgang 1925, die die Lektüre unbehaglich machen. Hitlerjugend, Kriegsverletzung, Berliner Jura-Studium, CDU-Mitgliedschaft (samt Parteispenden, auch für Altkanzler Kohl), die sehr erfolgreiche Karriere in der Weberbank, dem Geldinstitut seines Schwiegervaters, das seit dem Ruhestand 1995 wachsende Engagement gegen vermeintliche „antipreußische Gehirnwäsche“, die Eröffnung des privat finanzierten Brandenburg-Preußen Museums Wustrau: Solche Weltkriegs-Wirtschaftswunder-Biografien sind häufig anzutreffen. Und seine auch in Leserbriefen und Meinungsanzeigen (u.a. im Tagesspiegel) verbreitete Preußen-Verklärung samt konservativem Wirtschaftsliberalismus gehört zum legitimen Meinungsspektrum in einer die Gedankenfreiheit respektierenden freien Gesellschaft.
„Die Verbrechen an den Juden lasteten zu schwer auf uns Deutschen.“
Ehrhardt Bödecker
Erschreckend ist vielmehr der immer krudere Mix aus Geschichtsklitterung und Fundamentalkritik an der parlamentarischen Demokratie. Die Sympathie, die die Neue Rechte Bödecker entgegenbrachte – die Redaktion der „Jungen Freiheit“ machte einen Betriebsausflug zu Bödeckers Museum – , verwundert da kaum mehr. Hinzu kommt die im Gutachten attestierte komplizierte Mischung aus „deutlichen antisemitischen Klischees einerseits und der Konterkarierung antisemitischer Ressentiments andererseits“, vor allem in späten Vorträgen und Texten.
Die am deutlichsten ambivalent-antisemitische Passage findet sich in „Vae Victis“ (Wehe den Besiegten), einem 2002 in der Schriftenreihe des Brandenburg-Preußen Museums erschienenen Essay. Darin heißt es: „Für die bestialischen Untaten an den europäischen Juden trägt Deutschland, unabhängig vom Wissen des einzelnen, die Verantwortung. Daran ändert auch die inzwischen wissenschaftlich nachgewiesene Unrichtigkeit der behaupteten Zahl von 6 Millionen Opfern nichts .“
Der „unerklärliche“ Frevel des Holocaust (ein Begriff, den Bödecker ebenso vermeidet wie den der Schoah) lasse sich „auch nicht durch Vergleich oder Aufrechnung mit anderen Verbrechen ähnlicher Art in seiner moralischen Bewertung abschwächen“. Dann jedoch betont er, dies gelte für beide Seiten, nämlich auch „für die von Amerikanern, Engländern oder Russen begangenen Verbrechen“.
Ein ähnliches Argumentationsmuster findet sich in einem Beitrag für das „Deutschland-Journal“ 2001. Relativierung des Holocaust und der NS-Verbrechen, der Verweis auf angeblich falsche Zahlen und die angebliche Ahnungslosigkeit vieler Deutscher: Hätten der Förderverein Berliner Schloss und die Stiftung Humboldt Forum Bödeckers zahlreiche, sich zu einer Million Euro summierende Spenden angenommen, wenn sie diese Texte gekannt hätten?
Die Stiftung beantwortet diese Frage implizit mit Ja, denn sie betreibt Entlastung in eigener Sache und zeigt sich erleichtert. Der Satz, Bödecker sei nicht „in einem rechtsradikalen Sinne antisemitisch“ gewesen, wurde bereits im November als Begründung dafür angeführt, dass der Förderverein mit der Annahme der Spenden nicht gegen die Spendenrichtlinie verstoßen habe. Wer das Gutachten in Gänze kennt, reibt sich die Augen.
„Zuwendungen dürfen nicht angenommen werden, wenn sie gegen soziale und ethische Standards verstoßen“, lautete die (inzwischen präzisierte) Richtlinie des Humboldt Forums, sie steht auch in den Regularien des Fördervereins. All die NS-Beschwichtigungen und unterschwelligen Antisemitismen, kein Verstoß gegen ethische Standards? Oberste Dienstherrin des Humboldt Forums ist die Kulturstaatsministerin und Grünen-Politikerin Claudia Roth.