Großfusion abgesagt: Joker beim Transferpoker im Radsport

Die alten Zeiten sind im Radsport endgültig vorbei. Schlossen früher Fahrer und Teamchefs noch Verträge per Handschlag, so sind jetzt selbst notariell beglaubigte Abmachungen die Cloud nicht wert, in der sie passwortgeschützt lagern. Dieser Herbst bot ein ganz wildes Transfergeschehen. Erst deutete sich eine Großfusion der beiden erfolgreichsten Rennställe der Saison an.

Jumbo – Visma, 65 Siege, darunter alle drei großen Rundfahrten, wollte mit Soudal Quick Step, mit 55 Siegen auf Platz 2, zusammengehen. „Wir haben uns bereits im Sommer getroffen und erste Vereinbarungen gemacht“, bestätigte Soudal Quick Step-Chef Patrick Lefevere. Lefevere, bald 69 Jahre alt, möchte sich aufs Altenteil zurückziehen. Sein Geldgeber Zdenek Bakala will das inzwischen von mehr als einer Milliarde Euro auf „bloß“ 740 Millionen geschrumpfte Vermögen für ein paar andere Dinge ausgeben.

Auf Jumbo – Visma-Seite bricht ab Ende 2024 Hauptsponsor Jumbo weg. Verhandlungen unter anderem mit Investoren aus Saudi-Arabien und den USA führten zu keinen Ergebnissen. Das niederländische Team will aber nicht nur die Erfolgsbilanz der letzten Jahre halten. „Wir wollen immer weiter wachsen und stärker werden“, sagte Teamchef Richard Plugge. Von den aktuell etwa 30 Millionen Euro Budget will er auf die 50 Millionen vom britischen Team Ineos Grenadiers kommen. Das sind zwar nicht mehr sportlich top, aber immer noch der Krösus.

Die vereinten Wachstums- und Ruhestandsplände lösten mittlere Beben aus. Denn 20 Fahrer beider Fusionsaspiranten drohten arbeitslos zu werden. Selbst bei den Fahrern, mit denen der neue Superboss Plugge noch plante, herrschte nicht eitel Sonnenschein.

Roglic kann noch ein bis zwei Jahre auf höchstem Niveau

Der Slowene Primoz Roglic etwa sah seine Position als Co-Kapitän für die Tour de France – neben Toursieger Jonas Vingegaard – durch die bevorstehende Ankunft des zehn Jahre jüngeren Remco Evenepoel gefährdet. Roglic bat um seine Freigabe aus dem Vertrag. Am Freitag ging sein neuer Arbeitgeber aus der Deckung: Bora hansgrohe. „Zuerst waren wir gar nicht im Spiel. Aber als es mehr und mehr spruchreif wurde, dass er weg will, haben wir unsere Fühler ausgestreckt. Und jetzt sind wir diejenigen, die Primoz verpflichtet haben“, sagte Teamchef Ralph Denk.

Mit Roglic hat der deutsche Rennstall endlich einen Fahrer, mit dem Kampf um die höchste Trophäe im Radsport auch realistisch ist. Er gewann bereits Giro und Vuelta und scheiterte 2020 denkbar knapp in Frankreich. Ein, zwei Jahre auf höchstem Niveau hat der 33-Jährige noch.

Verlierer des wilden Transferherbsts ist Jumbo – Visma. Das Team hat nicht nur einen Spitzenfahrer verloren. Auch die Fusion wurde am Freitag offiziell abgesagt. Wenigstens die Sponsorenlücke scheint gefüllt. Pon, Dachmarke unter anderem vom Radhersteller Cervelo, engagiert sich ab 2024 stärker.

Die Fans können sich freuen, dass jetzt Toursieger Vingegaard, Vuelta-Sieger Evenepoel und Roglic gegeneinander und nicht miteinander fahren, in einem Vierkampf mit dem anderen zweifachen Toursieger Tadej Pogacar.