Graphic Novel „Ein Überleben lang“: Heimliche Tagebücher aus dem KZ als Comic
Die Aufzeichnungen von Edgar Kupfer-Koberwitz während seiner Haft im Konzentrationslager Dachau gehören zu den eindringlichsten Zeugnissen des Terrors der Nationalsozialisten. Von November 1940 bis zur Befreiung am 29. April 1945 war er dort politischer Häftling. Seine Erfahrungen hat der Schriftsteller (1906-1991) heimlich in einem Tagebuch notiert.
Nun gibt es darüber eine Graphic Novel, als YouTube-Film und online zum Durchblättern. „Ein Überleben lang“ erzählt mit erschütternden Texten und eindringlichen Bildern seine Erlebnisse, ohne Pathos, an Tatsachen orientiert. Ein Werk, das unter die Haut geht und viel Stoff zum Nachdenken gibt, auch mit Blick auf aktuelle Debatten.
Originalzitate des gebürtigen Breslauers, der 1991 in Stuttgart starb, sind eingebettet in eine fiktive Handlung: Im Mai 1945 schildert er US-Soldaten seine Erlebnisse, von der Verhaftung aus vagen Gründen 1940 im Exil in Italien bis hin zur Befreiung.
Der Film und das Online-Buch machen das Grauen des Lagers deutlich, das wenige Wochen nach der Machtergreifung Adolf Hitlers im März 1933 als erstes Konzentrationslager in Betrieb ging. „Über allem hing etwas Unerbittliches, etwas Furchtbares, etwas Eiskaltes“, wird Kupfer-Koberwitz zitiert. „Nie zuvor in meinem Leben habe ich eine Umgebung so bedingungslos gefährlich und feindlich empfunden. Es war, als sei die Luft voll erstarrter Verzweiflungsschreie.“
Die Graphic Novel, an deren Erarbeitung ein fast 20-köpfiges Team beteiligt war, berichtet von Demütigungen, Misshandlungen und grausamen Strafen, mit denen Menschen psychisch gebrochen wurden. Kupfer-Koberwitz sieht „Totengerippe in schlotternden Häftlingskleidern“. Und er beobachtet Jüdinnen und Juden, die vom Hunger getrieben in den Abfällen suchten, die sie in einer Grube mit Füßen einstampfen sollen.
„Ich sah, wie sie Käserinden aus dem Kot wühlten, halb verfaulte gekochte und rohe Kartoffeln, verschimmeltes, von der SS weggeworfenes Brot und verfaulte Wurstzipfel. Sie rissen sich die Beute gegenseitig aus den Händen und verschlangen sie“, schreibt der Autor, der das quälend langsame Dahinsiechen bis zum Tod der Menschen beobachtete.
Für dieses Grauen findet das mithilfe von Pädagoginnen und Pädagogen entwickelte Werk eindrückliche Bilder. „Durch Graphic Novels können komplexe Geschichten erzählt werden, die gleichzeitig unmittelbar wirken und emotional berühren, aber durch die zeichnerische Umsetzung trotzdem auch die nötige Distanz und Abstraktion ermöglichen“, erläutert Projektleiterin Kerstin Schwenke, die die Bildungsabteilung in der Gedenkstätte Dachau leitet. Vor allem Jugendliche fühlten sich durch das Medium Comic angesprochen und seien eher bereit, sich komplexen Inhalten zuzuwenden.
Eine Erkenntnis nach dem Anschauen oder Lesen: wie dünn die Decke der Zivilisation ist. Gleichzeitig gehe es um eine Geschichte des Willens zum Überleben und zur Dokumentation von Unrecht, findet Schwenke. „Edgar Kupfer-Koberwitz konnte nur überleben, weil er etwa durch Mithäftlinge auch Solidarität und Hilfe erfuhr.“ (dpa)