„Götterdämmerung“ an der Staatsoper: Jetzt wissen wir, wie das wird

Zwei große orchestrale Zwischenspiele gibt es in „Götterdämmerung“, und sie fungieren, wie so vieles in Richard Wagners „Ring des Nibelungen“, auch als Gegenstücke, komplementär aufeinander bezogen: Purzelt der rosige, nicht unproblematische Held in „Siegfrieds Rheinfahrt“ fröhlich in die Welt, auf zu neuen Taten, sein Weib Brünnhilde kurz nach der ersten Begegnung schon wieder an Heim und Herd zurücklassend, liegt er im „Trauermarsch“ aufgebahrt, hinterrücks gemeuchelt von Hagen, Alberichs Sohn.

Kunst des psychologischen Komponierens

Ein Pianissimo-Grummeln der Pauke verdämmert ins Unhörbare, dann drei von den tiefen Streichern intonierte, aufsteigende und dabei lauter werdende Halbtöne, schließlich der gewaltige Schlag der Pauke und der Posaunen, begleitet von Liegetönen der Holzbläser – es wirkt wie ein Schock, als würden nicht nur den Figuren auf der Bühne, sondern allen im Saal erst jetzt plötzlich klar werden: Siegfried ist wirklich tot. Wagners ganze Kunst des psychologischen Komponierens ist hier auf engstem Raum komprimiert.

Und wie Christian Thielemann diesen Moment bei der Premiere am Sonntag in der Berliner Staatsoper dirigiert, erzählt viel über den ganzen Abend: Unfassbar biegsam, mit atmender Dynamik bei langsamem Tempo, das Zeit lässt für das kunstvolle An- und Abflauen des Klangs, durchflochten von einzelnen, präzise gesetzten Figurationen. Immer wieder gelingen Thielemann, der das Dirigat von dem erkrankten Daniel Barenboim übernommen hat, und der Staatskapelle musikalische Bögen von großer, blühender Schönheit, bei denen nichts herbeigezwungen wirkt, sich alles natürlich, organisch entfaltet. Schien Thielemann in den früheren Teilen, etwa im „Siegfried“, vor allem auf die jeweiligen Aufzugsenden hin zu dirigieren, so ist jetzt die gesamte fast sechsstündige Aufführungsdauer getragen von einem aufmerksamen, hellwachen Klangfluss und einer geschmeidigen Lust am Leitmotiv.

Johannes Martin Kränzle (r.) als Alberich erscheint seinem Sohn Hagen (Mika Kares) im Traum.
Johannes Martin Kränzle (r.) als Alberich erscheint seinem Sohn Hagen (Mika Kares) im Traum.
© Monika Rittershaus

Was im Graben passiert, rettet den Abend. Und oben, auf der Bühne? Bekanntlich siedelt Dmitri Tcherniakov, weil Wagner ein paar Mal in seinen Briefen den Begriff „Experiment“ benutzt, das Ganze in einem Forschungszentrum namens E.S.C.H.E. an und macht aus Wotan (Michael Volle) einen Studienleiter, der psychologische Menschenversuche durchführt. Was Tcherniakov, neben vielen anderen Nöten, nicht nur die labortypische hässliche Putzlichtatmosphäre einbringt, die jede mythologische Anwandlung im Keim erstickt – sondern auch das Problem, das Walhalls Herrscher ja zunehmend verschwindet und in „Götterdämmerung“ gar nicht mehr persönlich auftaucht, womit das ganze Laborkonstrukt fragwürdig wird. Wie also diesen „Ring“ rund kriegen?

In den Details findet die Personenführung des Regisseurs durchaus zu überzeugenden Momenten – obwohl er alles weglässt, was nicht in sein Konzept passt und die Nornen (Noa Beinart, Kristina Stanek, Anna Samuil) natürlich kein physisches Schicksalsseil weben. Als alte, tatterige Schachteln scharwenzeln sie durch Siegfried und Brünnhildes Wohnung, während beide noch im Bett liegen, sogar am Esstisch machen sich’s die Damen gemütlich. Als das (nicht vorhandene) Seil schließlich reißt, darf immerhin das Kaffeeservice zerbrechen. Siegfried duscht nach dem Aufstehen erstmal und zeigt viel nackte Haut, warum auch nicht, dies ist doch ein Liebespaar? Andreas Schager singt den Helden nicht nur mit enormer Kondition, sondern liefert auch ein nachvollziehbares, in sich stimmiges, aus dem Leben gegriffenes Rollenporträt. Der schlumpfige Teenager aus „Siegfried“ schimmert diesem Typen immer noch aus jeder Pore. Schager hat Spaß, eine Figur zu erschaffen, das spürt man.

Mika Kares ist als Hagen wahnsinnig gut

Zum dunklen Kraftzentrum des Abends aber avanciert Hagen. Mika Kares ist wahnsinnig gut, seine bullige Darth-Vader-Silhouette emaniert ununterbrochen eine Aura schwarzböser Autorität, die durch seine erdige Bassstimme noch den rechten Schimmer erhält. Ein fürchterlicher Blutfleck zieht sich über sein rechtes Auge, als hätte jemand eine riesige Zigarre auf dem Glatzkopf ausgedrückt. So sitzt er nun in selbstgefälligem Manspreading da und spinnt, intrigiert, reicht Siegfried den Trank, der diesen erstaunlich effektiv Brünnhilde komplett vergessen lässt – quasi ein Widerruf von Isoldes Liebestrank. Aus dem, der dieses fatale Gebräu hergestellt hat, dem unselige Alberich (Johannes Martin Kränzle) macht die Maske einen nackten, jämmerlich anzusehende Greis, einen Wurm.

Neben einem Kerl wie Hagen kann das Gibichungen-Geschwisterpaar schon qua Libretto nur schwer bestehen. Lauri Vasar singt trotzdem wacker den Gunter – eine Figur, die immer so wirkt, als wolle Wagner Mozarts Don Ottavio an Spießigkeit übertreffen. Mandy Frederich hingegen macht als Gutrune nicht viel mehr als immerzu blöde zu kichern und zu giggeln und kann leider auch im einzigen größeren Augenblick, der ihrer Figur gegönnt ist – beim Anblick des toten Siegfried – mit einer kleinen Stimme nicht glänzen. Brünnhilde ist da natürlich ein völlig anderes Kaliber. Anja Kampe schlägt sich sehr passabel, vor allem im hochdramatischen zweiten Aufzug bleibt sie stets über dem Orchester, Thielemann achtet da auch sehr auf die Balance. Sie kann aber nicht verbergen, dass es fast unmenschlich ist, was Wagner der Sängerin abverlangt.

Mord beim Basketball-Spiel

Tcherniakov dekliniert die Laboratoriums-Idee zunehmend lustlos durch, der Mord an Siegfried ereignet sich in einer Basketball-Halle, warum, wieso (alles nur ein Spiel?) – es bleibt offen, und es ist irgendwie auch egal. Sehr erwartbar, dass Hagen, speerlos wie er ist, zu einer der beiden Fahnenstangen greifen würde, um die Tat zu vollenden. Noch ist damit aber das Ende der Fahnenstange nicht erreicht, ein berührender Moment glückt dem Regisseur noch: Um den toten Siegfried zu sehen, zieht nach und nach das ganze Personal nicht nur dieser Oper ein, sondern des ganzen Rings, selbst Wotan und Erda geistern nochmal stumm herum. Dennoch ist das Ende im Wortsinn ein schwarzes Loch.

Wagner komponiert ja bekanntlich die herrlicheste Musik zu Walhalls Untergang, doch der Wunsch des Auges, zu sehen, wird nicht befriedigt. Tcherniakov schmeißt hin, löst die Laboridee weder auf noch ein, zeigt eine kahle Bühne, über die Brünnhilde (ist die nicht ins Feuer geritten?) ziellos umherirrt. Arbeitsverweigerung? Oder noch ein letztes psychologisches Experiment im Forschungszentrums, wie weit man das Publikum reizen kann, bis es explodiert? Brutale Buhsalven sind der verdiente Lohn.
Sänger, Dirigent, Orchester hingegen erhalten frenetischen Applaus, den Thielemann in Barenboim-Manier mit den versammelten Musikerinnen und Musikern auf der Bühne entgegennimmt. Angesichts der Tatsache, dass der Generalmusikdirektor immer häufiger Termine absagen muss, dürfte es kaum eine deutlichere Empfehlung für die Nachfolge geben.

Der komplette Ring-Zyklus wieder am 15., 16., 20. und 21. Oktober, www.staatsoper-berlin.de

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