Von wegen talentfrei: Ist Kim Kardashian die klügste Frau auf Instagram?
Kim Kardashian, bei der sich viele Menschen immer noch fragen, womit sie ihre Prominenz eigentlich verdient hat, ist berühmt, weil sie (besser als jede andere) verstanden hat, wie man sich selbst als Marke inszeniert. Eine Marke, aus der sich durch raffinierte Zurschaustellung der eigenen Person eine Menge Kapital schlagen lässt.
In der neuen Dokumentation „Kim Kardashian Theory“ wollen die Regisseur:innen Nesrine Slaoui und Guillaume Erner das Phänomen einer der kontroversesten, aber auch der mächtigsten Figuren der modernen Popkultur, rekonstruieren. Was ist das Erfolgsgeheimnis der Milliardärin aus dem Internet?
Mit Glück hat ihr Erfolg nichts zu tun
Die Theorie des Films: Kim ist eine soziale Person – ein Konstrukt, das zeitgenössische Debatten widerspiegelt. Auch wenn die Unternehmerin als Tochter eines Star-Anwalts durchaus als Nepo-Baby (ein Kind, das von der Prominenz der Eltern profitiert) bezeichnet werden kann, ist ihr der soziale Einfluss nicht zugeflogen.
Mit Glück hat ihr Erfolg nichts zu tun, da sind sich die Expert:innen einig. Laut Prof. Meredith Jones, Leiterin des Community & Society Instituts der Brunel University in London ist Kim Kardashian „eine Frau mit großem Talent“. Und ja, man kann dem Star vieles vorwerfen, aber ein naives Celebritysternchen ist sie nicht.
Große Bekanntheit erlangte die ehemalige Assistentin und Kindheitsfreundin von It-Girl Paris Hilton, durch ein Sextape. Doch viel interessanter als der Vorwurf, Kim stecke heimlich selbst hinter der Veröffentlichung des Videos, ist die Frage, wie es ihr gelang, die Demütigung in einen Vorteil zu verwandeln. Als Antwort wird in der Arte-Produktion treffend Sigmund Freud zitiert: „Man ist immer nur Opfer seiner Selbst“. Kim Kardashian hat sich das Sextape und somit die Regeln des Patriarchats gewissermaßen angeeignet, indem sie ihren Körper als Sexobjekt inszeniert.
Kurz: Aus der öffentlichen Erniedrigung machte sie Geld und baute sich mit dem Püppchen-Klischee ein Imperium auf. Ein strategisches Meisterwerk, das nicht von Einfältigkeit, sondern von ökonomischem Geschick zeugt. Von diesem Blickwinkel aus ist es nur konsequent, dass Kardashian Vorlesungen an der Harvard University hält – wer mit seiner Shape Wear „Skims“ jährlich 500 Millionen Dollar Umsatz macht, sollte auch an der Business School unterrichten dürfen.
Kim Kardashian schlägt auch aus Shitstorms Kapital
Seit 2012, fünf Jahre nachdem Kim Kardashian mit „Keeping up with the Kardashians“ zum Reality-Star wurde, postet sie Selfies auf Instagram. Den Beruf der Influencerin hat die heute vierfache Mutter, die pro Produktempfehlung bis zu fünfhunderttausend Dollar einkassiert, quasi erfunden.
Durch ihre enorme Reichweite setzte sie außerdem neue Schönheitstrends, die inzwischen so im Mainstream verhaftet sind, dass man schnell vergisst, wer dafür als Vorbild diente: Sanduhrfigur, sprich dünne Taille trifft auf möglichst großen Hintern, Cat Eyes, markante Wangenknochen, schmale Nase, volle Lippen – das klassische Instagram-Gesicht eben. Es sind Schönheitsideale, die Frauen weltweit unrealistische Körperbilder in den Kopf pflanzen und dazu führten, dass die Zahlen bestimmter Schönheitseingriffe, wie der hochgefährliche „Brazilian Butt Lift“, in die Höhe schossen.
Der verantwortungslose Umgang mit ihrem Einfluss auf ganze Generationen von Mädchen und Frauen ist nur einer von vielen Gründen, warum Kim seit jeher nicht nur Bewunderung, sondern auch eine Menge Hass abbekommt. Kulturelle Aneignung, mediale Ausschlachtung der eigenen Kinder, fehlendes Bewusstsein für ihre Privilegien – die Liste ist lang. So lang, dass man über sie eine eigene Doku drehen könnte, und vielleicht auch sollte.
Kim würde das als Social-Media-Profi der ersten Stunde vermutlich kaum stören: Sie schlägt auch aus Shitstorms Kapital; und zwar mit humorvoller Selbstironie, die ihr ertragreiches Image als Sexsymbol mit mehr Make-up als Verstand weiter aufpoliert.
Die Arte-Dokumentation beweist eindeutig, dass man Popkultursoziologie als Wissenschaft ernst nehmen sollte. Dasselbe gilt für Kim Kardashian.