Was haben Moritz Bleibtreu und DDR-Frauen gemeinsam?: Die Highlights der Kinowoche
In „Schirkoa“ haben die Menschen Tüten auf dem Kopf, Eltern teilen ihr Kind auf, DDR-Frauen kämpfen um Gleichberechtigung und anderswo heilen sie Alzheimer. Ob all das gelingt, hat sich unsere Redaktion genauer angeschaut.
1 Gloria!
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Die stumme Teresa, deren Namen kaum jemand kennt, hat musikalisches Talent. Eines Tages im Dorf Sant’Ignazio, irgendwo bei Venedig im Jahr 1800, schenkt ihr der Dorfschreiner eine Kalimba.
Bald darauf wird Teresa ihre Finger in die Klaviatur eines damals neuartigen Pianoforte versenken, und wird nicht nur unbeholfen klimpern, sondern tasten, horchen, Klänge entdecken, Melodien entwickeln.
Währenddessen reist der Papst durch die Lande und besucht auch die kleinen Gemeinden. Der „Maestro“ Perlina erhält den Auftrag seines Lebens: Er soll ein Konzert zu diesem Anlass komponieren und aufführen.
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Seine Kapelle besteht aus einer Gruppe junger Frauen, die als Waisenkinder in die Obhut der Kirche gelangten, um dort in Haushalt, Musik und Unterwürfigkeit unterrichtet zu werden.
Nun gibt es zwei Probleme: Erstens, ist Perlina, ein selbstverliebtes, patriarchales Ekel, als Komponist unfähig. Und, zweitens, die stumme Teresa. Wohl dank des Geistes der Musik erlangt sie ihre Sprechstimme wieder und übt auch mit ihrem unkonventionellen Spiel aufrührerischen Einfluss auf die Frauen in der Kapelle aus.
Leider ist das vermeintlich Unkonventionelle an ihrem Spiel nichts als eine Aneinanderreihung generischer Popklischees. Tastet und horcht Teresa anfangs in einer Weise ins Klavier hinein, dass man musikalisch Interessantes zu erwarten beginnt, endet all das spätestens, als dem Ensemblespiel ein generischer Elektrobeat unterlegt wird.
So hat Regisseurin und Kompinistin Margherita Vicario eher ihrer eigenen Musik ein Denkmal gesetzt, dabei aber zahlreiche Komponistinnen Italiens – die Nachfolgerinnen jener Schülerinnen – wie Sonia Bo, Ada Gentile, Elsa Respighi, Teresa Rampazzi, Paola Prestini, Piera Pistono unterschlagen. Thomas Wochnik
2 Cuckoo
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Für Gretchen (Hunter Schafer) gerät das Leben aus den Fugen. Sie ist 17 und hat gerade ihre Mutter verloren. Nun muss sie mit ihrem Vater und dessen neuer Familie in ein Resort in den Alpen ziehen.
Klingt weird, ist aber tatsächlich lebensbedrohlich. In Tilman Singers Horrorfilm „Cuckoo“ mutiert das Grauen zur Metapher für die teenage angst seiner Hauptfigur.
Bald schon wird Gretchen von einer Frau im Trenchcoat verfolgt. Die Unbekannte vermag einen Ruf auszustoßen, der jeden in Trance versetzt. Am Ende muss sich Gretchen zur Retterin aufschwingen.
Für „Euphoria“-Entdeckung Hunter Schafer ist das die Gelegenheit, ihre Eignung als „Final Girl“ unter Beweis zu stellen. Dass Singer diese Gen-Z-Ikone besetzen konnte, ist nichts weniger als ein Coup. Simon Rayß
3 Alles Fifty Fifty
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Alles wie immer, nämlich getrennt. Zwei Autos, die unterschiedlicher nicht sein könnten, zwei Wohnungen, zwei separierte Leben und doch eine Gemeinsamkeit – Sohn Milan. Mit einer fast schon arroganten Attitüde sind Ex-Ehepaar Marion (Laura Tonke) und Andi (Moritz Bleibtreu) von ihrer Erziehungsmethode „alles fifty fifty“ überzeugt.
Dass es sich beim Großziehen des Nachwuchses nicht um simple Mathematik handelt, sondern ein Espresso schlürfender, nicht schwimmender Elfjähriger mehr Zuneigung und Verständnis benötigt, muss erst einmal herausgefunden werden.
Und was eignet sich für eine ungeplante Familienzusammenführung besser, als ein gemeinsamer Urlaub? Mit neuen Partnern, der ersten großen Liebe und einem Einhornzelt, das auch längst verloren geglaubte Gefühle wieder hervorzaubern kann, schafft es Regisseurin Alireza Golafshan, eine teils schon dramatische Erziehungskomödie zu verwirklichen.
Mit Humor für ältere und jüngere Erwachsene wird geklärt, ob Liebe Bauch oder Kopfsache ist. Anna-Marie Petruck
4 Sleeping Dogs
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Der ehemalige Polizist Roy Freeman (Russell Crowe) versucht, seinem Alzheimer Herr zu werden. So unterzog er sich einer Gehirnoperation, die seine Erinnerungsfähigkeit wiederherstellen soll, vorausgesetzt, Freeman hält seinen Geist durch beispielsweise Puzzles fit.
Als dann ein Todestrakt-Insasse, den Freeman vor zehn Jahren wegen Mordes an einem Uniprofessor einbuchtete, seine Unschuld beweisen möchte, geht Freeman noch einmal in medias res. Zunächst zur eigenen Bespaßung, dann für Gerechtigkeit – und zum Leid aller Mittäter.
Die sind ganz schön genervt davon, dass der Koloss gerade jetzt anfängt, sich zu erinnern. Regisseur Adam Cooper verpasst in „Sleeping Dogs“ die Chance, die Detektivgeschichte, die er inhaltlich bei „Die Purpurnen Flüssen“, inszenatorisch aber im Sonntagabendfernsehen verortet, kohärent zu Ende zu erzählen.
Dieses Ende mag ein ausdauerndes, gnädiges Publikum vielleicht noch befriedigen, schafft es aber genauso wenig ins Langzeitgedächtnis, weil genauso belanglos. Eine Geschichte übers Erinnern – zum Vergessen. Fabian Kurtz
5 Schirkoa: In Lies We Trust
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Es heißt, dass man keine Lust mehr auf Suizid habe, wenn Sex dazwischen käme. Etwas, womit der kleine Regierungsbeamte die faszinierende Selbstmörderin und Aufständische gerne rettet.
Plötzlich scheint alles möglich in jenem totalitären Staat, in dem alle Nummern statt Namen tragen und Papiertüten über dem Kopf, um Unterschiede auszulöschen. In dieser Ordnung hatte er sich doch ganz gut eingerichtet, oder?
Als n197 A aber erkennen muss, wie er wirklich manipuliert wurde, bricht sein wahres Wesen hervor und eine irrwitzige Reise durch alternative Gesellschaftsentwürfe beginnt.
Regisseur Ishan Shukla macht in seinem visuell glänzenden Animationsfilm, der Zeichnung, 2D- und 3D-Techniken, „Blade Runner“, „1984“ und „Brazil“ auf faszinierende Weise verbindet, von Anfang an klar, dass das eine Parabel sein soll und die Abenteuer von n197 A eine spirituelle Reise meinen.
Leider wirkt sich das auf Dauer auf die Dramaturgie aus. Das Skript wird trotz des ganzen Augenfutters nie wirklich lebendig und hebt – im Gegensatz zu n197 A – nicht ab. Ingolf Patz
6 Die Unbeugsamen 2 – Guten Morgen, ihr Schönen!
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Das Leben war unhandlich in der DDR, sagt die Schriftstellerin Katja Lange-Müller, nach dem Motto: „sich durchbeißen und durchgebissen werden“. Wie war es für die Frauen im sozialistischen Alltag, für die vermeintlichen Heldinnen der Arbeit?
Nach seiner Doku „Die Unbeugsamen“ über Politikerinnen in der Bonner Republik hat Regisseur Torsten Körner unbeugsame ostdeutsche Frauen mit der Kamera aufgesucht und sie in „Die Unbeugsamen 2“ zum Gruppenporträt versammelt. Untertitel „Guten Morgen, Ihr Schönen!“, in Anspielung auf Maxie Wanders Kultbuch mit Frauen-Protokollen von 1977.
Körners Panorama – von der LPG-Vorsitzenden Solveig Leo über die Schauspielerin Katrin Sass bis zur Dissidentin Gabriele Stötzer – erscheint einem nicht ganz so schlüssig wie im ersten Film, bezieht er gegen Ende doch auch fiktive DEFA-Heldinnen mit ein, auf Kosten der 15 Protagonistinnen.
Aber die Unerschrockenheit der Frauen, ihr Selbstbewusstsein, ihr Mut und ihr kluger, kritischer Blick auf Mythos und Realität der Emanzipation in Mauer- und Wendezeiten ist den Kinobesuch unbedingt wert. Christiane Peitz