Für Martina Voss-Tecklenburg ist die EM eine Mission
Martina Voss-Tecklenburg lebt Fußball. Ein Blick in das Gesicht der Bundestrainerin reicht aus, um davon auch als Außenstehender überzeugt zu sein. Die Augen funkeln voller Leidenschaft, wenn sie vor dem Spiel zu ihrer Mannschaft und nach dem Spiel über sie spricht. Bei aller Energie, die die 54 Jahre alte Duisburgerin versprüht, ist da aber immer auch eine gesunde Distanz zu spüren.
Das zeigt sich bei ihr in einem verschmitzt wirkenden Lächeln, das Voss-Tecklenburg auch bei dieser Europameisterschaft immer wieder aufsetzt.
Das Turnier in England ist für die Bundestrainerin eine Mission. Und eine, die sie generalstabsmäßig geplant hat. Nicht immer lief dabei alles glatt. Spielerinnen fühlten sich schon mal unterfordert, wie in der Dokumentation „Born for this“ zu sehen ist. Eine Reaktion auf die Erfahrungen von der WM 2019, als sie sich selbst eingestehen musste, mitunter zu viel verlangt zu haben von ihrem Team.
Ehrgeizig ist Voss-Tecklenburg, mitunter geht das so weit, dass sie dabei verkrampft wirkt. Und sich selbst nicht schont. Bei dieser EM fehlte sie schon mal wegen Migräne im Training und in der Vorbereitung, ein paar Wochen nach dem eher durchwachsenden Auftritt ihrer Auswahl beim Arnold-Clark-Cup hatte sie sich mit Corona infiziert, trotzdem gab sie in dieser Zeit Interviews – digital dann und dabei hustend.
Aber die 125-malige Nationalspielerin ist in jeder Hinsicht verlässlich. Es ist das etwas, das ihre Frauen an ihr schätzen. Immer stellt sich Voss-Tecklenburg in der Öffentlichkeit vor ihr Team und schafft es dabei, das Wir-Gefühl zu stärken.
Voss-Tecklenburg und ihr Team wollen es allen zeigen
„Uns muss erstmal einer schlagen“, hatte sie nach dem 4:0 zum Auftakt gegen Dänemark gesagt, als sie nach dem Abpfiff mit ihren Spielerinnen auf dem Platz einen Kreis bildete. Nach außen kann das schon mal überheblich wirken, aber es ist Voss-Tecklenburgs Art, die Dinge, die sie denkt, beim Namen zu nennen. Direkt ist sie, wie Menschen aus dem Ruhrpott nun einmal sind. Und sie hat große Ziele: Immer war sie davon überzeugt, dass ihre Mannschaft gut genug ist, um in England den Titel zu holen.
„Natürlich können wir Europameister werden“, hatte sie im März dieser Zeitung gesagt. Wenig später verlor ihr Team in Serbien nach schwacher Vorstellung und schien weit weg davon zu sein, wirklich ein Mitfavorit für den Sommerhöhepunkt zu sein. Die Zweifel an ihrer Arbeit und an der Klasse des DFB-Teams wuchsen, gleichermaßen auch die Motivation, es allen zu zeigen – bei Voss-Tecklenburg und innerhalb der Mannschaft.
Diese Situation hätte allerdings erneut umschlagen können in Verkrampfung, es nun unbedingt allen beweisen zu müssen. Vielleicht gab es dann diese Einsicht, die die Bundestrainerin bei diesem Turnier mit dem Satz beschrieb: „Es hilft mir nicht, wenn ich zu angespannt bin.“ Also gibt sie sich lockerer und das kommt an in der Mannschaft: „Es gelingt viel besser, uns Spielerinnen mit ins Boot zu nehmen. Das hatten wir in der Vergangenheit nicht so“, erzählte Alexandra Popp in der ARD.
Dass Voss-Tecklenburg eine überragend Fußballfachfrau ist, daran gab es nie Zweifel. Deshalb wurde sie 2018 Bundestrainerin. Doch oft ist aller Anfang im neuen Job schwer, inzwischen hat sie zu ihrem Team eine ganz andere Verbindung – und viel mehr Vertrauen.
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„Es tut den Spielerinnen gut, dass sie nicht das Gefühl haben, die Martina steht da immer mit dem erhobenen Zeigefinger und findet Dinge nicht gut, die sie gerade machen“, beschrieb sie ihre eigene Wandlung vom autoritären Kontrollfreak hin zur Teamplayerin.
Und so ist eine Mannschaft gewachsen, die genauso gute Chancen hat wie jede andere verbliebene bei diesem Turnier. Am Mittwoch geht es im Halbfinale gegen Frankreich, „einen toughen Gegner mit enormer Qualität und fantastischen Einzelspielerinnen“, wie Voss-Tecklenburg findet und deshalb an ein Spiel auf Augenhöhe glaubt.
Nach vier Zu-Null-Siegen der Mannschaft bei der EM ist das wohl das Mindeste, was zu erwarten ist von diesem deutschen Team. „Wir werden am Mittwoch alles geben, was in uns steckt“, verspricht die Bundestrainerin – und meint damit ganz sicher auch sich selbst.