Exzentrischer Auftritt, großer Spaß

Jetzt haben sie sich schon wieder umgezogen. Den ganzen Abend über geht das so, fast nach jeder Nummer präsentieren sich Deichkind aus Hamburg bei ihrem Konzert in der Freiluftbühne Wuhlheide in neuem Fummel. Und was für Klamotten das sind! Von unförmigen Sackgewändern in schrillen Farben bis hin zu Astronautenanzügen, die sich irgendein exaltierter Designer auf Drogen ausgedacht zu haben scheint, ist hier alles mit dabei.

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Mal sehen sie in der Kombination Weiß und Pink aus wie Testimonials für die Sorte „Yoghurt Raspberry“ einer bekannten Eismarke. Bei ihren schwarzweiß gepunkteten Umhängen denkt man unwillkürlich an Schneeleoparden. Und bei einigen der grotesken Gewänder fragt man sich, ob man die ähnlich schon bei Bewohnern unbekannter Planeten in einer Folge „Star Trek“ oder einem Spin-Off von „Star Wars“ gesehen hat. Alle Zutaten für diesen Mummenschanz werden von der Band selbstgeschneidert, hört man. Was belegt, dass Deichkind wirklich hart an ihrer Bühnenpräsentation arbeiten.

Für ihre schrillen Live-Auftritte werden sie geliebt

Und für ihre ausgefallenen Shows werden sie ja auch so geliebt. Für ihre Musik, eine Mischung aus Deutschrap und muskulösem Stadiontechno, die die Band selbst „Tech-Rap“ nennt, sicherlich auch. Aber dass die Hamburger, die sich um die Jahrtausendwende gegründet haben, inzwischen ein solches Phänomen geworden sind, liegt stark an ihren Liveauftritten, die so ganz anders sind als die anderer Hip-Hop- oder Elektronikacts.

Es geht schon los damit, dass die Band auf das Bearbeiten irgendwelcher Instrumente vor Publikum völlig verzichten. Da hat niemand auch nur einen mickrigen Synthesizer umhängen und kein DJ steht im Eck und macht einen auf Soundmagier. Alles geht nur um Choreographien, Performance-Kunst und Rap-Gesang. Die fetten Ballerbeats, mit denen Deichkind nie geizen, um die Leute in der ausverkauften Wuhlheide zum Ausrasten zu bringen, kommen von einem Musikarbeiter hinter der Bühne oder einfach gleich vom Band.

Man weiß auch gar nicht so genau, wie viele Mitglieder Deichkind gerade hat. Offiziell nur die drei Typen, die sich Porky, La Perla und Kryptik Joe nennen. Die meiste Zeit turnen aber sieben Deichkinder auf der Bühne in meist identischen Outfits herum. Sieben Spacken im Fantasy-Look, die mit Leuchtstäben herumfuchteln, machen aber auch einfach mehr her als nur drei von der Sorte.

Instrumente brauchen sie schon mal gar nicht

Was man hier zu sehen bekommt, ist gar nicht so einfach zu kategorisieren. Eine Mischung aus Hip-Hop-Show, Rave, Ballermann-Extase und Tanztheater. Als „Kindergeburtstage für Erwachsene“ bezeichnet die Band selbst ihre Shows und man kann dieser Selbstdefinition durchaus folgen. „Wo sind die Ladys?“ wird gefragt und die Stimmungskanone geladen.

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Aber schon im nächsten Moment liegen da drei Gestalten in Silberfolie auf der Bühne, Stroboskopgewitter setzt ein, und eine der Gestalten ruft: „Ich bin ein Geist.“ Ist das noch eine Popshow oder schon Avantgarde-Theater? Es wundert einen kein Stück, dass Schauspielstar Lars Eidinger inzwischen eine Art Ehrenmitglied der Band ist und schon bei einigen ihrer Videos mitgewirkt hat. Eidinger deckt ja auch alles ab vom überkandidelten Selbstdarsteller bis hin zum einfühlsamen Theater-Mimen.

Auch Songs vom nächsten Album werden schon kredenzt

Auf sieben Alben haben es Deichkind bislang gebracht. Ihr nächstes mit dem Titel „Neues vom Dauerzustand“ wird erst im Februar des kommenden Jahres veröffentlicht. Dennoch wird dieses bereits beworben und ein paar Nummern daraus werden auch in Berlin performt. Doch richtig geht das Publikum natürlich vor allem bei den bekannten Hits ab. Bei „Richtig gutes Zeug“, „Wer sagt denn das?“ oder „Bon Voyage“.

Immer wieder ist es faszinierend zu erleben, wie es die Band schafft, auch mit Hilfe ihrer Texte primitive Schlichtheit mit großer Kunst zu verbinden. „Bück dich hoch“ etwa ist inhaltlich eine beißende Satire auf den neoliberalen Kapitalismus und das moderne Arbeitsleben, lustig, clever, anspielungsreich. Richtig mitgegrölt wird aber immer nur die andauernd wiederholte höhnische Aufforderung „Bück dich hoch!“ Subtile Kunst so als prolliges Massenspektakel zu präsentieren, das muss man erst einmal hinbekommen.