Expressionismus-Doppel im Folkwang und bei Buchheim: Versprechen der Freiheit
1982 gastierte die Sammlung Buchheim unter dem knappen Titel „Expressionisten“ in der Berliner Akademie der Künste. Im Vorwort zum Katalog schrieb Akademie-Präsident Werner Düttmann, nebenbei Architekt des Brücke-Museums, als junger Mensch habe er, Jahrgang 1921, Brücke-Kunstwerke gesehen. „Sie waren die erste Erfahrung von Ergriffensein durch Kunst“, schreibt er und fügt hinzu: „Die erste wirkliche Begegnung fand auf der ersten Documenta statt, sie brannte im Herzen und war ein Nachhausekommen nach langer Zeit.“
Mag sein, dass diese Sätze, 27 Jahre nach der Documenta von 1955 geschrieben, das damalige Erlebnis überhöhten. Doch lassen sie erkennen, was nicht allein den 34-jährigen Düttmann bewegte, sondern eine ganze Generation. Ihr gehörte der drei Jahre ältere Lothar-Günther Buchheim an, der nach dem Krieg als Kunstbuchverleger die Mittel verdiente, die ihm den Aufbau einer Sammlung eben dieser Expressionisten ermöglichte. Sie fanden bei den Museen wenig Beachtung, denn das Interesse galt der internationalen Abstraktion.
Das hinderte nicht den Aufstieg des Expressionismus zur Lieblingskunst der Bundesdeutschen, „Brücke“ mehr im Norden, „Blauer Reiter“ im Süden. Die DDR im Osten holte das in den späten achtziger Jahren nach. In jüngster Zeit ist der Expressionismus aus mancherlei Gründen in die Kritik geraten, vor allem wegen der NS-Verstrickung von Personen wie dem Documenta-Vordenker Werner Haftmann. Für den Expressionismus als Kunstrichtung besagt es nichts.
Nun ist eine der umfassendsten Ausstellungen, die es je zum deutschen Expressionismus gegeben hat, im Buchheim-Museum in Bernried am Starnberger See zu besichtigen. Ihr Titel „Bücke und Blauer Reiter“ ist Programm: Beide Gruppierungen werden zusammen gezeigt, die Unterschiede nicht eingeebnet, aber die Familienähnlichkeiten betont.
Zur gleichen Zeit feiert das Folkwang Museum Essen die einhundertste Wiederkehr des Ankaufs der ursprünglich in Hagen beheimateten Sammlung von Karl Erst Osthaus, mit der zugleich der Name des Museums importiert wurde, in einer ebenso beeindruckenden Ausstellung. „Expressionisten am Folkwang. Entdeckt – Verfemt –Gefeiert“ hat zwar allein die eigene Sammlung im Blick, die aber als einstmals bedeutendste des Expressionismus durchaus für das Ganze gelten darf.
Sie waren die erste Erfahrung von Ergriffensein durch Kunst.
Werner Düttmann über seine Begegnung mit Brücke-Werken
Das Folkwang war nächst der Berliner Nationalgalerie mit ihrer Moderne-Dependance im Kronprinzenpalais am stärksten von der Beschlagnahmeaktion der „Entarteten Kunst“ 1937 betroffen. 31 Blatt lang ist die maschinenschriftliche Liste mit über 1400 Positionen, die in Essen vergrößert auf einer Wand der Ausstellung zu lesen ist.
Nach dem Krieg versuchten die Museumsdirektoren, Verlorenes zurückzuerwerben. Das gelang in sehr begrenztem Umfang, allerdings konnten vergleichbare Werke erworben wurde, um die Lücken zu schließen, wie noch im vergangenen Jahr ein äußerst seltener Farbholzschnitt von Erich Heckel, der mit Aufgeld 450.000 Euro bei Ketterer einbrachte.
Dort hatte einst auch Lothar-Günther Buchheim gesessen und mitgeboten, oft für ein Tausendstel des oben genannten Preises, noch dazu in D-Mark. Als der Sammler endlich sein „Buchheim Museum der Phantasie“ erhalten hatte, finanziert vom Freistaat Bayern, mochte er am üblichen Leihverkehr der Museen nicht teilnehmen. Diese Regel hat nun, 15 Jahre nach dem Tod des Sammlers, der Museumsdirektor Daniel J. Schreiber durchbrochen und mit dem Von der Heydt-Museum Wuppertal und den Kunstsammlungen Chemnitz eine Gemeinschaftsausstellung erarbeitet, die, um weitere Leihgaben ergänzt, tatsächlich einen Rundumblick auf die expressive Kunst in Deutschland zu Beginn des 20. Jahrhunderts ermöglicht.
Das war die Zeit, da „Werkbund“-Mitbegründer Karl Ernst Osthaus seine mäzenatische Tätigkeit in Hagen begann und sich, beeinflusst durch den Jugendstil-Gestalter Henry van de Velde, entschieden der Moderne zuwandte. Das waren nicht nur, aber besonders die Expressionisten. Osthaus starb 1921 an Tuberkulose, seine Witwe veräußerte die Sammlung im Jahr darauf nach Essen.
Stadt und verschiedene Förderer fanden sich zu dem Kraftakt des 15-Millionen-Mark-Ankaufs bereit, da das städtische Kunstmuseum bereits ähnlich zu sammeln begonnen hatte und nach dem Ankauf nahtlos zum Folkwang Museum umfirmierte, schließlich auch einen angemessenen Neubau erhielt. Dessen Festsaal sollte Ernst Ludwig Kirchner ausmalen; aus mancherlei Gründen blieb das Vorhaben stecken, ungeachtet der zahlreichen Vorstudien Kirchners, die jetzt in Essen zu sehen sind.
Der Expressionismus war bereits Geschichte, als die Nazis ihn als „entartet“ brandmarkten und aus den öffentlichen Sammlungen entfernten. Buchheim, als er zu sammeln begann, fand eine durch NS-Verfemung und Kriegszerstörung dezimierte und vielfach heimatlos gewordene Kunst vor, als die Museen gerade erst begannen, ihre Verluste zu kompensieren. So ist das Glück seiner Privatsammlung nicht zu trennen vom Elend der Museen unter der Diktatur.
In Essen wie in Bernried am Starnberger See ist zu bewundern, was der Expressionismus in seiner Blütezeit vermochte, anhand von Werken derselben Künstler. Sie passen nahtlos zusammen wie die beiden wunderbaren Kandinskys aus demselben Jahr 1913, „Improvisation Sintflut“ als Leihgabe in Bernried und „Landschaft mit Kirche“ als Eigenbesitz in Essen. Es ist in beiden Museen, was Werner Düttmann 1982 ein „Nachhausekommen“ genannt hat.
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