Er war ein Berliner Original
„Gehen Sie nach Hause!“ tönt eine sonore Männerstimme beim Betreten des Ausstellungsraums aus dem Off. Na super, das ist ja eine Einladung. Der nüchterne Rat, im Loop repetiert, erweckt ein Werk von Tomas Schmit aus dem Jahr 1964 zum Leben. „Gehen Sie nach Hause, und wenden Sie Ihren den Kopf nach links!“
Der betagte Gerhard Rühm leiht dem Werk seine Stimme, das als Liste von Handlungsvorschlägen in einer Vitrine nachzulesen ist. Der konkrete Poet war ein Weggefährte des 1943 in Wipperfürth geborenen, 2006 in Berlin verstorbenen Tomas Schmit.
Quereinsteiger mit abgebrochenem Germanistikstudium
Zigarette im Mund, Schultheißbier griffbereit, Zeichenstift in der Hand: So zeigt ein Foto den jungen Künstler beim „Sachen machen“, seiner Form schöpferischen Denkens und Tuns. Was Tomas Schmit, der sich selbst immer kleinschrieb, als Werk in die Öffentlichkeit entließ, hat oft den Charakter einer Minimaldosis.
Ohne künstlerische Ausbildung, als Quereinsteiger mit abgebrochenem Germanistikstudium mischte er ab 1962 bei den europäischen Fluxus-Aktivisten mit. Später machte er das weiße Blatt Papier zur Bühne seiner Handlungen. In zwei sehr unterschiedlichen Ausstellungen sind diese beiden Hälften von Tomas Schmits Schaffen jetzt im Neuen Berliner Kunstverein (n.b.k.) und im Kupferstichkabinett zu erkunden.
Im n.b.k.-Schaufenster wendet sich ein schlichter Schriftsatz an die Passanten und fordert dazu auf, eine fünf Meter lange Stange eine Woche in der linken Hand zu halten. Das Plakat war kaum angebracht, da sah sich Kuratorin Krisztina Hunya schon in die Gespräche verwickelt. Tomas Schmit provoziert und irritiert.
Anders als Joseph Beuys, Wolf Vostell oder Nam June Paik gehört er nicht zu den bekannten Namen der Fluxus-Community, die in der verstaubten Adenauer-Ära mit schrägen Bühnenauftritten und respektlosen Anti-Kunstparolen den Kunstbetrieb aufmischte.
Verwackelte Filmfragmente in Schwarzweiß, vergilbte Zeitungsartikel und handgeschriebene Zettel dokumentieren, was damals für empörte Publikumsreaktionen und ein euphorisches Gruppengefühl der Akteure sorgte. Fluxus, war da was? Die quecksilbrigen Aktivitäten von einst museal greifbar zu machen, gleicht einem Paradox. Hunya und ihr Team versuchen es mit wandgroßen Fotos, Videos, Sound und reichlich Flachware in den Vitrinen.
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Im Interview erzählt Free-Jazz-Saxofonist Peter Brötzmann von einem Freund, der schroff und streitlustig sein konnte, und von durchzechten Nächten im „Zwiebelfisch“ am Savignyplatz. Die Forschungen zu Schmits Fluxus-Œuvre förderten so viel Neues zutage, dass der Ausstellungskatalog mit Werkverzeichnis erst im kommenden Jahr erscheinen kann. Noch nie wurde dieser Teil seines Schaffens in einer Ausstellung beleuchtet.
Ein Mann in Anzug und Krawatte hockt am Boden in einem Kreis von Glasflaschen. Konzentriert gießt er Wasser aus einem Behälter in den nächsten. Tropfen werden verschüttet, das bleibt nicht aus. Sechs Stunden dauerte Tomas Schmits Aufführung 1962 in Amsterdam. Sie endete erst, als alle Flüssigkeit verdunstet oder verplempert war. „Zyklus für Wassereimer“ gilt als seine wichtigste Performance.
Den jungen Künstler inspirierte eine Komposition Karlheinz Stockhausens mit kreisförmig aufgestellten Schlagzeugen. Ein Remake des befreundeten Harun Farocki überließ die Umschüttarbeit 2010 einem Roboterarm. Der schaffte es in 18 Minuten, wie ein Sieben-Kanal-Video in Farbe vorführt. Der mediale Kontrast zur kargen Ästhetik der Fluxus-Ära ist enorm.
Deren Blütezeit währte nur kurz. Zum Bruch kam es, als Tomas Schmit ausgerechnet am 20. Juli 1964, dem Jahrestag des Hitlerattentats, ein Fluxus-Event an der TU Aachen organisierte. Das Datum war Zufall. Dass Kollegen wie Joseph Beuys es zur politischen Zuspitzung nutzten, stieß den Puristen Tomas Schmit ab. Er scherte aus, machte künftig sein eigenes Ding. Beim legendären Happening- Festival „24 Stunden“ in der Wuppertaler Galerie Parnass vollführte er sein Wassereimer-Stück nur noch hinter einem Vorhang. Sobald jemand eintrat, hörte er auf.
Den melancholischen Sixties-Soundtrack, der durch die n.b.k.-Schau schallt, liefert sein auf Film festgehaltener, letzter Fluxus-Auftritt 1970 in Berlin. Fortan vertauschte der Künstler die reale Bühne mit dem Schauplatz Papier. Ortswechsel also, zur zweiten Ausstellungsstation am Kulturforum.
Weiß das Papier, weiß und still der Präsentationsraum. Hier wird nichts inszeniert, sondern klassisch gerahmt. Kuratorin Jenny Graser vom Kupferstichkabinett übt sich in Zurückhaltung. Den hauseigenen Bestand hat sie mit zahlreichen Leihgaben zu einer veritablen Werkschau des zeichnerischen Œuvres ergänzt. Hier zeigt sich, was bei dem Fluxus-Jüngling der Anfangsjahre nur ab und an aufblitzte: Tomas Schmits verschmitzter Witz, sein spielerischer Geist. Auch den Zeichenstift handhabte er als Purist, sparsam im Gebrauch der Linie. Kaum eine Zeichnung kommt ohne Beschriftung aus.
[ n.b.k., Chausseestr. 128/129, bis 23. 1. Di-So 12-18 Uhr, Do 12-20 Uhr; Kupferstichkabinett, Matthäikirchplatz, bis 9. 1., Di-Fr 10-18 Uhr, Sa, So 11-18 Uhr]
Wort und Bild: im Denken Tomas Schmits sind sie eins. Darüber, wie unsere Wahrnehmung und Gehirntätigkeit funktioniert, wie Sprache entsteht und Bewusstsein sich bildet, hat der Vielleser gründlich nachgesonnen. Sein 1989 im Selbstverlag erschienenes Buch „Erster Entwurf (einer zentralen Ästhetik)“ empfahl der Tübinger Hirnforscher Valentin Braitenberg Studenten zur Lektüre.
Die Zeichnung „Das sind die Burschen“ stellt seine wichtigsten Mitarbeiter vor: Die aufgereihten Farbstifte zeigen sich als eigensinnige Geschöpfe mit ausdrucksstarker Mimik, vom missmutigen Gelb bis zum dickbäuchigen Rot. Was man mit denen alles machen kann! „Runder Nippel rot ist Tomate, runder Nippel gelb ist Sonne, runder Nippel grün ist Schnittlauch von oben“, schreibt Schmit 1985.
Wer die Wirkungsmechanismen des Bildermachens so gründlich kennt, kann auf dem Papier mit fast Nichts zaubern. Da streut der Zeichner eine Handvoll prallroter Radieschen aufs Blatt. Was soll das sein? Ein „Paradieschen“! Zwei aufgeklebte Miniwürfel veranschaulichen die englische Version des eigentlich unübersetzbaren Wortspiels, von einem britischen Freund beigesteuert: „a pair o’dice“.
Das Spielen und Wirken des Zufalls zieht sich als Movens durch Tomas Schmits gesamtes Schaffen., bis hin zu den späten am Computer erstellten e-constellations. Geduldig würfelte er die Richtung der Linien und die Wahl der Farben für ein John Cage gewidmetes Blatt aus. Mathematisch präzise mutet das Ergebnis an. Schmit spielte nach selbstgemachten Regeln.
Kreisrund wie unter dem Mikroskop nahm er sich in der umfangreichen Serie “Utopia” 1975 grundlegende Gegensatzpaare wie “Form /Inhalt” oder “Allein sein / Nicht allein sein” in Denkfiguren aus Worten und Linien vor. Sie kitzeln an gewohnten Vorstellungen.
Die strenge “Klartext-Asthetik” ließ der Zeichner in seiner “Schwabbelphase” der 80er hinter sich. Wie beim Jazz wollte er ab den 80er Jahren improvisieren, den Stift frei laufen lassen. Statt diagrammartiger Miniaturen entstand in den nächtlichen Arbeitsstunden lockeres Krikelkrakel, Zeichnen als Ereignis.
“Kräht der Gockel auf nem Sockel ist es Mist”
Und Tomas Schmit stellte fest: “Auch ein blindes Huhn findet manches Mal ein Korn”. Für das so benannte Blatt zeichnete er zunächst verstreute Körner und fügte dann mit geschlossenen Augen solange auf Gutdünken einzelne Schnäbel hinzu, bis einer davon durch Zufall ein Korn traf. Erst dann ergänzte er zeichnend das pickende Huhn.
Federvieh hatte es ihm ohnehin angetan. Frech kommentieren zwei struppige Hähne auf dem Blatt “Kräht der Gockel auf nem Sockel ist es Mist” die hehre Kunst und das eitle Sich-Spreizen der Szene.
Er selbst hielt sich vom Kunstbetrieb lieber fern. Zum Broterwerb verkaufte er seine Multiples, oft Schachteln gefüllt mit Denkzetteln oder Spielanweisungen im besten Fluxus-Geist. Ein Klassiker ist sein „Verlegerbesteck“: Der in beiden Ausstellungen präsentierte, winzige Zettelkasten enthält einen Fundus simpler Denkübungen. Eine lautet: „Bitte versuchen Sie, diesen Zettel nicht zu lesen.“