Er spielt sich um Kopf und Kragen
Regisseure, die sich vor der Kamera gerne selbst inszenieren, stehen schnell unter Narzissmus-Verdacht; insbesondere bei Journalist:innen, die mit Vorliebe nach autobiografischen Spuren in der Kunst suchen. Mathieu Amalric hat über diese Doppelrolle als Regisseur und Schauspieler schon einige Filme gemacht, seinen schönsten vielleicht über die französische Chansonistin Barbara, eine Nationalheilige.
Jeanne Balibar spielt in „Barbara“ (2017) die Schauspielerin Brigitte, die die 1997 verstorbene Sängerin darstellt; Amalric den Regisseur und Fan Yves Zand (der Mädchenname seiner Mutter). Aber so genau legt sich der Regisseur Amalric mit seinen Rollenzuschreibungen – wie mit der filmischen Form – nicht fest. Irgendwann reicht Brigitte das hündische Herumscharwenzeln des Maestros, sie stellt Yves mitten in einer Szene zur Rede: „Machst Du einen Film über Barbara oder über dich selbst?“
Die Antwort, die Yves dem Star seines Filmes gibt, ist auch in Bezug auf das Werk des Regisseurs Mathieu Amalric aufschlussreich: „Es ist doch eins.“ Leben und Kunst durchdringen sich in seinen Filmen, auch wenn die eigene Biografie meist nur Ausgangspunkt bleibt. Im Regiedebüt „Es wird aufgegessen“ von 1996 verarbeitet er die Beziehung zur Mutter. An der Seite von Balibar, mit der er zwei Kinder hat, wurde er zu einem der markantesten Gesichter des französischen Autorenkinos. Seine weichen Züge wirken auf faszinierende Weise alterslos, sein Rehaugenblick evoziert Verletzlichkeit.
Der Fokus der Schau liegt auf einen Regiearbeiten
Dieses Gesicht ist umso bemerkenswerter, als Amalric seine Schauspielkarriere in Interviews lange als „Unfall“ bezeichnet. Er selbst versteht sich zuerst als Regisseur. Otar Iosseliani gab ihm seine ersten kleineren Rollen, aber es war sein Freund und langjähriger Arbeitspartner Arnaud Desplechin, der Amalric zum Schauspiel ermunterte. Über ihre Chemie sagte er einmal: „Wir beide lieben den Kontrollverlust, was schlicht nötig ist, um nicht in kalte Perfektion zu verfallen.“
Zwei ihrer gemeinsamen Filme – „Ich und meine Liebe“ von 1996 (mit dem, sinngemäß, umwerfenden Originaltitel „My Sex Life … or How I Got into an Argument“) und „King and Queens“ von 2004 – zeigt das Kino Arsenal bis zum 19. April in einer kleinen Werkschau des über hundert Filme umfassenden Œuvres von Amalric. Der Fokus liegt dabei auf seine Regiearbeiten, aber natürlich bliebe solch ein Programm ohne die Arbeit vor der Kamera unvollständig.
Desplechin hat sich um das französische Kino verdient gemacht wie nur wenige andere Regisseure der vergangenen dreißig Jahre. Aber sein schönstes Geschenk ist die Förderung des Schauspielers Mathieu Amalric, dessen ungemein französische Physiognomie auch Regisseure wie Steven Spielberg („München“), Wes Anderson („The Grand Budapest Hotel“) und David Cronenberg („Cosmopolis“) inspirierte. Seinen berühmtesten Auftritt hatte er 2008 als Bond-Gegenspieler in „Ein Quantum Trost“, der leider nicht im Arsenal zu sehen ist. Almaric verleiht dem Klischee des Euro-Bösewichts eine ganz eigene Körperlichkeit.
Am Samstag ist Almaric im Arsenal anwesend
Seine Reputation als Filmstar hat Amalric genutzt, um sich als einer der interessantesten Regisseure des französischen Kinos zu etablieren. Ob es sich um ein Familiendrama handelt wie sein jüngster Film „Für immer und ewig“, in der Vicky Krieps in einer somnambulen Odyssee die Puzzlestücke eines Traumas zusammenzusetzen versucht, oder um das Biopic „Barbara“: Amalric verlässt sich nie auf die lineare Dramaturgie des Psychologischen. Seine Filme erinnern eher an Suchbewegungen. Vom Altmeister Alain Resnais, sagt er, habe er die wertvollste Lektion über das Filmemachen gelernt: wie er zur Seele eines Filmes werden kann.
Auf unvergleichliche Weise zeigt sich diese Fürsorge in seiner Cassavetes-haften Tragikomödie „Tournée“, die Amalric 2010 in Cannes den Regiepreis einbrachte. Er spielt darin einen abgehalfterten Fernsehproduzenten, der mit einer Truppe von älteren Burlesque-Tänzerinnen über französische Provinzbühnen tingelt. Als verkorkstes Oberhaupt einer schillernden Ersatzfamilie zeigt er die ganze Bandbreite seines Könnens. Er redet und spielt sich um Kopf und Kragen.
Am Samstag wird Amalric im Arsenal anwesend sein. Und ihn reden zu hören, ist ein ganz besonderes Vergnügen. In Julian Schnabels „Schmetterling und Taucherglocke“ spielt er Jean-Dominique Bauby, den 1997 gestorbenen Chefredakteur des Modemagazins „Elle“, der nach einem Schlaganfall mit einem Locked-in-Syndrom lebte. Notfalls trägt Mathieu Amalric einen Film auch ganz allein mit seiner Stimme.