„Wir wurden von Feyenoord-Fans mit Feuerwerkskörpern beschossen“
Zumindest eine halbwegs gute Nachricht gab es am Freitagmorgen. Die Nacht nach dem Conference-League-Spiel des 1. FC Union bei Feyenoord Rotterdam (1:3) war weitgehend ruhig geblieben. „Uns sind keine Zwischenfälle bekannt“, sagte ein Sprecher der Rotterdamer Polizei dem Tagesspiegel.
Am Abend zuvor hatte das noch ganz anders ausgesehen. Dass Rotterdam für Fußballfans gegnerischer Mannschaften ein gefährliches Pflaster ist – noch dazu, wenn sie aus Deutschland kommen – war schon im Vorfeld allen Beteiligten bewusst. Doch die Begleitumstände schockierten die Berliner Anhänger:innen und Vereinsvertreter dann doch enorm. Mehrere Fans mussten offenbar im Krankenhaus behandelt werden, Hunderte verpassten große Teile des Spiels, es gab 75 Festnahmen.
„Wenn mehrere Hundert Menschen mit Eintrittskarten bis zur Halbzeitpause nicht im Stadion sind und es dazu Berichte und Bilder von Verletzten gibt, ist das in der Gesamtheit inakzeptabel“, sagte Unions Pressesprecher Christian Arbeit unmittelbar nach dem Spiel und übte harsche Kritik am Veranstalter. „Wir werden darüber reden müssen, wie so etwas auf europäischem Niveau passieren kann. Das ist ja kein Stadion, wo zum ersten Mal europäisch gespielt wird.“
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Nach dem tätlichen Angriff auf Unions Vereinsspitze um Präsident Dirk Zingler, Finanzgeschäftsführer Oskar Kosche und Arbeit am Mittwochabend in einem Restaurant in der Rotterdamer Innenstadt hatte der Verein seine Fans zu großer Vorsicht aufgerufen und dringend zur Anreise mit den am Alten Hafen bereitgestellten Shuttle-Bussen geraten.
Der Großteil der Anhänger:innen legte die etwa vier Kilometer bis zum Stadion Feyenoord, besser bekannt als De Kuip, jedoch in einem Fanmarsch zurück. Laut Polizei freiwillig, doch das schildern Berliner Fans anders. „Die Polizei wollte die Ultras nicht mit den Bussen fahren lassen“, sagt Union-Fan Jan Grobi. Auch Mara hätte mit ihren Begleiter:innen lieber den Shuttle genommen, doch als sich nach den ersten zwei Bussen lange nichts tat und sich ein großer Teil der Fans in Bewegung setzte, lief sie mit. „Aufgrund der Vorkommnisse vom Abend zuvor war für uns klar, dass wir in der Gruppe bleiben.“
Zu dem Zeitpunkt, als sich der Fanmarsch in der Rotterdamer Innenstadt auf den Weg machte, waren an anderer Stelle, im Stadtteil Lombardijen, bereits 59 Union-Anhänger vorläufig festgenommen worden. Die Gruppe „suchte die Konfrontation mit Feyenoord-Anhängern“, hieß es in einer Polizeimeldung, und sei auch für eine solche ausgerüstet gewesen. Wegen des „Verdachts der Vorbereitung offener Gewalt“ wurden die 59 Personen in Gewahrsam genommen und im Laufe des Abends wieder freigelassen.
Über die Geschehnisse gehen die Schilderungen auseinander
Die weiteren 16 Festnahmen ereigneten sich offenbar im Rahmen des Fanmarsches beziehungsweise vor dem Stadion. Grund sind laut Polizei Vandalismus, Beleidigung und Besitz von Feuerwerkskörpern. Über die Geschehnisse auf dem Weg zum Stadion gehen die Schilderungen allerdings weit auseinander.
Während der 1. FC Union, der mit eigenem Personal vor Ort war, sowie viele Fans von unangemessener Gewalt und einem „sehr harten Polizeieinsatz“ sprechen, sieht die Polizei die Schuld beim Berliner Anhang. „Eine kleine Gruppe deutscher Rowdys“ habe die Bereitschaftspolizei angegriffen. Eine Polizeisprecherin bekräftigte: „Meine Kollegen haben mehrfach gewarnt, aber wenn diese Warnungen nicht befolgt werden, gibt es eine Reaktion.“
Die Polizei ging mit Schlagstöcken und Hunden vor. Drei Berliner Fans sowie ein Polizist mussten mit Bisswunden behandelt werden. Ein weiterer Beamter sowie sein Pferd verletzten sich, nachdem dieses aufgrund eines explodierten Feuerwerkskörpers erschrak und der Mann zu Boden fiel.
Die „Eiserne Hilfe“, eine Fan-Solidargemeinschaft, postete auf Twitter mehrere Bilder von verletzten Fans und bat alle anwesenden Berliner:innen, ein Gedächtnisprotokoll anzufertigen. „Es gab beim Fanmarsch gezielte Angriffe auf Köpfe der Beteiligten, am Einlass den Einsatz von Schlagstöcken und Hunden, mehrere Personen wurden gebissen, haben Platzwunden oder sind im Krankenhaus“, sagte der Vorsitzende Andreas Lattemann dem sid.
Mindestens fünf Fans mussten offenbar im Krankenhaus behandelt werden. „Die Eiserne Hilfe“ schrieb auf Twitter, dass sich viele Fans „wie Tiere behandelt fühlen“. Demnach sollen einige Anhänger von der Polizei bespuckt worden sein. „Wir haben sicher niemanden bespuckt“, sagte eine Polizeisprecherin. Jan Grobi und Mara haben die Gewalt beim Fanmarsch nicht direkt gesehen, wohl aber mehrere Verletzte. Fans mit Wunden seien an ihr vorbeigelaufen, Krankenwagen seien nicht zu sehen gewesen. „Eine der wenigen positiven Dinge war, dass Anwohner Wasser und Verbandsmaterial zu uns heruntergeworfen haben“, berichtete Mara.
“Versagen auf ganzer Linie”
Während Mara weit hinten lief, befand sich Grobi fast an der Spitze. Er empfand die Polizei als sehr aggressiv. „Die haben nur auf Provokationen gewartet“, sagt er. Das Verhalten der Berliner Fans empfand er wie Mara als unter diesen Umständen sehr besonnen. Das sei direkt am Stadion entscheidend gewesen. Denn dort warteten Hunderte Fans noch lange nach Anpfiff auf den Einlass, eingepfercht ohne geöffneten Fluchtweg. „Es gab nur zwei Drehkreuze für 2400 Fans und die Ticketscanner haben nicht richtig funktioniert“, so Mara. „Die Organisation war ein Versagen auf ganzer Linie.“
Einigen Fans wurde der Zutritt zum Stadion offenbar gänzlich verwehrt, andere kamen erst sehr spät ins Stadion. Daniel Roßbach, der für den Blog „Textilvergehen“ über Union schreibt, kam aufgrund eines Zugausfalls erst gegen 18.30 Uhr mit dem Taxi am Stadion an und erreichte den Gästeblock erst kurz nach Beginn der zweiten Hälfte. Der Einlass sei nur sehr schleppend vorangegangen, zwischendurch habe sich minutenlang gar nichts getan.
Auch nach dem Spiel erlebten die Berliner unschöne Szenen. Erst etwa eine Stunde nach Abpfiff durften sie den Gästeblock verlassen, was in Rotterdam nach Risikospielen allerdings üblich ist. Jan Grobi und eine Gruppe Ultras, die am Abend noch zurück nach Berlin flogen, hätten jedoch die Zusage bekommen, das Stadion schnell verlassen zu dürfen. Diese sei nicht eingehalten worden. „Wir mussten da im Kessel warten und wurden dabei noch von Feyenoord-Fans mit Feuerwerkskörpern beschossen“, sagt Jan Grobi. Seinen Flug erreichte er dennoch, wenn auch nur ganz knapp.
Der 1. FC Union forderte noch am Donnerstag eine genaue Auswertung der Geschehnisse. Für viele Fans steht eine Sache jedoch bereits fest: Nach Rotterdam werden sie zum Fußball sicher nicht noch einmal fahren.