Der Glanz des Galanten

Um es vorwegzunehmen: Dies ist keine Ausstellung über Antoine Watteau. Jedenfalls keine im Sinn eines klassischen Blockbusters, wie es ihn 1985 im Schloss Charlottenburg gab. Das war eine glanzvolle Revue wichtiger Werke, die zum 300. Geburtstag des französischen Malerstars durch Berlin, Paris und Washington tourten. Fast vier Jahrzehnte später ist so etwas undenkbar. Zum einen wegen der horrend gestiegenen Versicherungssummen für historische Werke; zum anderen aus Rücksicht auf deren Alter und Fragilität. Viele Museen wollen ihre Highlights nicht mehr reisen lassen. Wer sie sehen möchte, der muss sich selbst bewegen. Entsprechend beschränkt sich die aktuelle Sonderschau „Antoine Watteau. Kunst – Markt – Gewerbe“ im Charlottenburger Schloss auf sechs Bilder und ähnlich viele Zeichnungen der hauseigenen Sammlung.

Auch wurde „Die Einschiffung nach Kythera“ von 1718, das wohl bekannteste Werk Watteaus, im Obergeschoss der einstigen preußischen Sommerresidenz belassen. Dort, wo es immer hängt. Man besucht das Spitzenstück nach der thematischen Ausstellung im neuen Flügel, die mit einer Kreation der britischen Modedesignerin Vivienne Westwood endet – einem ausladenden Abendkleid aus den 1990er-Jahren, für das sich Westwood vom französischen Rokoko inspirieren ließ. Ein ziemlicher Bruch, aber auch eine interessante Wendung, denn mit der „Einschiffung“ schließt sich das Watteausche Universum.

Parlieren und flirten

Details des vielteiligen Motivs, die kleinen Gruppen parlierender wie flirtender Pärchen aus der Hand anderer, Watteau nacheifernder Künstler, gab es zuvor reichlich zu sehen. Sie zieren Fächer, KPM-Geschirr, eine Tapisserie und einen Paravent. Genau darum geht es in der klug gemachten Ausstellung: um das kurze Leben und lange Nachwirken einer singulären Künstlerfigur.

Watteau, das vergisst man schnell, war ein Spätzünder. Erst als 20-Jähriger kam er 1704 nach Paris an die Königliche Akademie für Malerei und Skulptur, wurde 1717 ihr Mitglied. Vier Jahre später starb der Künstler mit nur 37 an Tuberkulose. Trotz dieser kurzen Kreativphase gilt er als Erfinder einer neuen Bildgattung, die sich durchaus ambivalent lesen lässt: Seine galanten Figurengruppen wirken bei näherer Betrachtung zugleich seltsam isoliert, und das Porträt des „Gilles“ von 1719 ist in seiner zarten Melancholie kein Einzelfall im Oeuvre.

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Die Ausstellung bietet ebenfalls im zentralen „Ladenschild des Kunsthändlers Gersaint“ (1720) ein paar alleinstehende Gestalten: Kunstkenner oder -interessierte, die ganz für sich die Bilder im Bild betrachten. Watteau schuf das Gemälde zu Werbezwecken und als Dank für einen Freund, den Galeristen Edme-François Gersaint, der ihn bei sich hatte wohnen lassen. Das Motiv, eine Kunsthandlung voller Gemälde mit Anklängen an Rubens und Rembrandt, ist eine gut gemeinte Übertreibung, denn das vom Maler erfundene Sortiment hatte mit dem tatsächlichen Angebot des Pariser Kunsthändlers wenig zu tun. Der verkaufte in seinem Geschäft auf der Pariser Pont Notre Dame eher Naturalien für Wunderkammern, Bücher und kleine Bilder. Dafür erkannte Gersaint rasch den Wert des Geschenks über seiner Eingangstür: Es hing bloß ein paar Tage, dann ließ er es wieder abnehmen. Das monumentale Ladenschild stand zum Verkauf.

Friedrich der Große war sein Fan

Bevor es 1746 von Friedrich dem Großen erworben wurde, durchlief es diverse Eingriffe. Von seiner Teilung (es war mit drei Metern Länge schlicht zu groß für die Wohnsitze potenzieller Sammler) über die Ergänzung der halbrunden Form zu einem Rechteck durch anonyme Maler bin hin zur Aufwertung durch zwei Goldrahmen erzählt die Ausstellung die Geschichte nach. Spuren der Eingriffe sind bis heute sichtbar und zeigen, wie unbekümmert der Handel das Original kompatibel für den Verkauf machte und selbst den Schnitt durch die Bildmitte nicht scheute.

Nach Watteaus frühem Tod sorgte Gersaint für die europaweite Werbung und Vermarktung des künstlerischen Erbes. Zusammen mit dem Sammler Jean de Jullienne ließ er sämtliche Gemälde und die vom Künstler geradezu obsessiv verfertigten Zeichnungen druckgrafisch reproduzieren. Es entstand eine monumentale Edition mit Abbildern allein von 350 zeichnerischen Studien, die einen wahren Watteau-Boom auslösten. In der friderizianischen Zeit kleidete man sich nach seinen Figuren, trug Fächer mit seinen Motiven und trank aus Porzellan, das galante Gruppen in feinster malerischer Ausführung zierte. Auch die „Recueil Jullienne“ genannten Bände sind Exponat und markieren den Übergang in jene Räume, die sich Watteaus postumem Einfluss widmen. Bis hin zu den Bildern des Hofmalers Antoine Pesne, den Friedrich ab 1736 protegierte, weil er sich von dem ebenfalls aus Frankreich stammenden Künstler Sujets in der Tradition seines Vorgängers erhoffte. Watteau war zu einem Idol geworden, das durch die Epochen Einfluss nahm. Was nicht oder zumindest anders geschehen wäre, hätten seine Freunde und Gönner nicht schlau den Marktwert nach oben getrieben – zum eigenen wie zu Watteaus Vorteil.

[„Antoine Watteau. Kunst – Markt – Gewerbe“, Schloss Charlottenburg, bis 9. Januar]

Dass der Künstler bis heute fasziniert, ist eng mit dieser Geschichte verbunden. Der ganzen samt Watteaus plakativer Vervielfältigung, vergleichbar mit van Goghs Sonnenblumen auf Regenschirmen oder Kaffeebechern. Westwoods Wiederaufnahme bestimmter Motive gehört wie die von Thomas Huber, der ebenfalls mit einem Gemälde von 2014 präsent ist, zu den Anstrengungen, sich konzeptuell mit dem Maler des Rokoko zu beschäftigen. Davon erzählt die Ausstellung in allen Facetten, und es tut gut zu sehen, dass man dafür keinen Blockbuster braucht. Sondern bloß sechs Watteaus zur historisch-kritische Rekonstruktion.