In steter Bewegung : Deutscher Buchpreis für „Blutbuch“
So viel Glam war lange nicht in der Riege der für die Shortlist des Deutschen Buchpreises nominierten Autoren und Autorinnen. Eckhart Nickel sieht super aus, wie er da am Montagabend in der ersten Reihe des Kaisersaals im Frankfurter Römer sitzt, in komplett weißer Kluft und mit silbernem Spazierstock; neben ihm genauso super Fatma Aydemir in komplett schwarzer Garderobe und mit lilafarbenen Fingernägeln; und dann erst Kim de l’ Horizon: durchsichtig lilafarbenes Oberteil, grüner Federboa-artiger Brustpuschel und dunkelgrün-silbrig schimmernder Rock, über den rotgeschminkten Lippen ein Schnauzer. Was braucht es da ein spanisches Königspaar bei der Eröffnung am kommenden Eröffnungstag?
Im Grunde hat die Jury vor diesem Hintergrund eine geradezu folgerichtige Entscheidung getroffen und die non-binäre Schweizer Person Kim de l´Horizon mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet, für den gleichfalls nicht unglamourösen Roman „Blutbuch“. Ein Roman über eine Figur, die Kim heißt, weder Mann noch Frau ist, nach dem Tod der Großmutter aus einem Vorort nach Zürich zieht und sich dann erzählend auf die Suche nach der weiblichen Familiengenealogie macht. Es geht viel um Kims Großmutter in diesem autofiktionalen Roman, um Körperlichkeit, um Sex.
„Blutbuch“ ist ein queerer und wilder Roman, der sprachlich viel hin und her springt, mal in Hochdeutsch, mal in Schweizerdeutsch, mal in Englisch, mit mal seitenlangen, mal ganz kurzen Sätzen. Kim de l’Horizon arbeitet mit Fußnoten, inneren Monologen, Erinnerungssplittern und Gedichten, stets geht es vor und zurück, jeder fiktionalen Romaneinheit Hohn sprechend. Von „enormer kreativer Energie“ spricht die Jury in ihrer Begründung, von einer „Romanform in steter Bewegung“, von „Dringlichkeit und literarischer Innovationskraft“. Nun denn.
Ein Zeichen für den Kampf aller Menschen, die wegen ihrer Körpers unterdrückt werden
Kim de l’Horizon
Das hätte man zu Jan Faktors Roman „Trottel“ genauso sagen können; weniger zu Fatma Aydemirs im Vergleich eher konventionellem Roman „Dschinns“ über eine kurdische Familie und ihre sechs Mitglieder in Deutschland; und noch weniger zu der schlichten Autofiktion einer Daniela Dröscher.
Von „unspektakulären Geschichten“ ist bei dieser Buchpreisverleihung viel die Rede, warum auch immer. Spektakulär wäre der Deutsche Buchpreis für Eckhart Nickels Roman „Spitzweg“ gewesen, der primär die Kunst und nichts als die Kunst feiert und im Gegensatz zu so vielen anderen aktuellen Büchern aus der deutschsprachigen Literatur einmal nicht selbsternannte politisch-gesellschaftliche Relevanz ganz oben auf der Agenda stehen hat.
Kim de l’Horizon hat eine Agenda, in und mittels „Blutbuch“ soll aus den Geschichten ein „echter Körper“ werden. Und überdies ist Kim de l´Horizon sich sicher: Dieser Preis für „Blutbuch“ sei einer „nicht nur für mich. Sondern ein Zeichen für die Liebe, gegen den Hass, für den Kampf aller Menschen, die wegen ihrer Körpers unterdrückt werden“. Ja, und auch noch „für die Frauen im Iran.“
Diese improvisierte Dankesrede lässt sich bezüglich „Blutbuch“ als kongenial bezeichnen: Tränen, als der Dank auf Schwyzerdeutsch an die Mutter geht, eine brüchige Stimme bei der Erwähnung des zurückliegenden „schweren Jahres“, eine feste Stimme beim Singen eines Songs des französischen Electro-Produzenten Kavinsky, eine hübsche Showeinlage mit der Rasur des eigenen Haarschopfes, von wegen der Solidarität mit den iranischen Frauen. Und dann eben das Wissen darum, dass der Deutsche Buchpreis für diesen Roman ein Signal ist. Ohne eine entscheidende, über sich selbst weisende Botschaft hat die Literatur es heutzutage leider schwer.
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