Ein Traum von einem Team
Wie heißt noch gleich der aktuelle Musikchef der Komischen Oper? Und sein Vorgänger? Oder auch sein Vorvorgänger? Seit den glorreichen Zeiten, als Kirill Petrenko Generalmusikdirektor des Musiktheaters in der Behrenstraße war – und Vladimir Jurowski als 1. Kapellmeister an seiner Seite hatte! – ist es keinem Dirigenten mehr gelungen, nachhaltig zum Profil des Hauses beizutragen. Petrenko, der hier von 2002 bis 2007 wirkte, steht mittlerweile den Berliner Philharmonikern vor, Vladimir Jurowski ist musikalischer Leiter des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin.
Jetzt aber eröffnet sich für einen weiteren Maestro die Möglichkeit, sich dauerhaft in die Geschichte der Komischen Oper einzuschreiben: Zum Herbst 2023 wird James Gaffigan den Posten des Generalmusikdirektors übernehmen. Berufen wurde der 42-jährige Amerikaner von Susanne Moser, der Geschäftsführerin des Hauses, die zusammen mit Philip Bröking, dem aktuellen Operndirektor, zum Ende der laufenden Spielzeit die Leitung des Musiktheaters von Barrie Kosky übernehmen wird.
Künftig wird das Haus im Team geführt
Kosky bleibt der Komischen Oper weiterhin als Regisseur erhalten, das Management aber geht auf die neue Doppelspitze über. Und die ist – nach der Ära des übermächtigen, vielgeliebten, inszenierenden Intendanten – fest entschlossen, im Team anzutreten. Mit Johanna Wall haben sie bereits eine Chefdramaturgin gefunden, neben James Gaffigan wird die Dirigentin Erina Yashima künftig für die musikalische Seite verantwortlich sein.
Die gebürtige Heilbronnerin, die ihr Studium an der Berliner Hanns-Eisler- Hochschule abgeschlossen hat, konnte am Dienstag beim Pressetermin nicht dabei sein, hatte aber eine Videobotschaft geschickt, aus Philadelphia, wo sie aktuell als Assistant Conductor bei Yannick Nézet-Séguin arbeitet. Yashima wird in Berlin bereits ab der kommenden Spielzeit präsent sein und als 1. Kapellmeisterin mehrere Wiederaufnahmen, eine Neuinszenierung sowie ein Konzert leiten.
James Gaffigan kann erst eine Saison später dazustoßen – aber er versprach, dann sehr präsent zu sein. Nach gut zehn Jahren, in denen er nahezu im Wochenrhythmus als Gastdirigent von Orchester zu Orchester gejettet ist, sei es jetzt für ihn Zeit anzukommen. Seine zwei „musikalischen Inseln“ sollen künftig die Komische Oper sein sowie das Palau de les Arts Reina Sofia in Valencia, wo er gerade erst seine Position als Musikchef angetreten hat.
Die erste Gelegenheit, James Gaffigan am Pult des Orchesters der Komischen Oper zu erleben, wird das Neujahrskonzert 2023 sein. In Berlin ist er kein Unbekannter, 2006 bereits konnte er in der Reihe „Debüt im Deutschlandradio“ das Deutschen Symphonie-Orchester leiten. Seitdem wird er regelmäßig vom DSO eingeladen, gerade erst hat er das Silvesterprogramm des Orchesters im Tempodrom geleitet. Am 9. Januar wird er zudem bei einer Matinee im Boulez Saal mit der Staatskapelle zu erleben sein.
Einstimmiges Votum für Gaffigan
Die Findungskommission, die Susanne Moser und Philip Bröking eingesetzt hatten, um einen neuen Generalmusikdirektor für die Komische Oper zu finden, hat sich einstimmig für James Gaffigan ausgesprochen. Und das designierte Intendanzduo ist natürlich voll des Lobes: „Er passt perfekt zum Profil“ des Hauses, sagt Susanne Moser, weil er „flexibel im Repertoire ist, ein Teamplayer, der ein Ensemble weiterentwickeln kann“, Bröking hat ihn als „weltläufigen, lässigen Typ“ kennen und schätzen gelernt, als einen Dirigenten, der „jung und hungrig“ ist, aber eben auch genug Erfahrung mitbringt, um Sängern wie Orchestermusikern während der Aufführungen die nötige Sicherheit zu geben.
Gaffigan selber spricht auf Englisch, erzählt davon, wie er als Kind auf Staten Island südlich von Manhattans aufwuchs und dort eine musikalische Förderung durch seine public school erhielt. Sie ermöglichte ihm jenen Klarinettenunterricht, den sich seine Eltern finanziell nicht hätten leisten können, der ihm aber die Welt der Klassik öffnete und in ihm den Wunsch reifen ließ, Dirigent zu werden.
An dem Job schätzt er übrigens besonders, dass er gemeinsam mit anderen Musikern etwas erschaffen kann. Und die Steigerung dieser kollegialen Orchesterarbeit ist dann der Betrieb eines Opernhauses, wo man noch mit jeder Menge weiteren Menschen von Technik bis zur Maske zusammenkommt, um den Zauber des Gesamtkunstwerks zu entfesseln. Wobei die Jugend- und Vermittlungsarbeit für ihn einen genuinen Teil seines Berufsprofils darstellt, wie der Dirigent am Dienstag gleich mehrfach betont.
Konkretes zu künstlerischen Plänen ist James Gaffigan dagegen noch nicht zu entlocken. Doch er erklärt immerhin, dass er – wenn die Pandemie endlich überwunden ist – auf keinen Fall zurück zur Vor- Corona-Routine zurückkehren möchte. Sondern lieber Neues ausprobieren, in die Konzertprogramme beispielsweise auch mal gesprochenes Wort oder bildende Kunst integrieren. Zu den ersten Opern, die er leiten wird, gehört je ein Werk eines russischen wie eines amerikanischen Komponisten, und auch ein Musical, das er schon als Kind liebte, will er dirigieren, im Schillertheater, dem Ausweichquartier während der Generalsanierung der Komischen Oper.
Zum Sommer 2023 werde man die Zelte in der Behrenstraße abbrechen, sagt Susanne Moser, um dann sowohl in Charlottenburg wie auch an vielen anderen Orten in der Stadt Musiktheater zu machen. Und James Gaffigan fügt hinzu, dass er sich auf dieses Wanderleben freut – weil es die Möglichkeit biete, als Opernhaus für noch mehr Menschen als bisher sichtbar zu werden.
P.S.: Der aktuelle Generalmusikdirektor der Komischen Oper heißt übrigens Ainars Rubikis. Sein Vorgänger war Henrik Nánási. Von 2008 bis 2010 hatte Carl St. Clair glücklos an der Spitze des Orchesters gestanden, danach übernahm, ebenfalls für zwei Jahre, Patrick Lange die Leitung als Interims-Chefdirigent. Hätten Sie’s gewusst?