Ein feuchtfröhlicher Festivalstart
Im dritten Anlauf hat es endlich geklappt: Schon für 2020 war dieser Abend „Mit Beethoven in Arkadien“ geplant, zur Feier des 250. Geburtstag des Komponisten. Doch Corona vereitelte die Idee nicht nur im Jubiläumsjahr, sondern auch noch im vergangenen Sommer. Jetzt aber war es so weit: Die Karajan-Akademie der Berliner Philharmoniker konnte anreisen. Für ein Wandelkonzert der besonderen Art: fünfeinhalb Stunden ist überall im Schlosspark Musik des Wiener Klassikers zu hören – und ganz am Schluss sogar mitten auf dem Grienericksee.
Friedrich der Große hat als junger Mann glückliche Stunden in Rheinsberg verbracht, unter seinem Bruder Heinrich wurde das Barockschloss dann zum Musenhof. Ein wenig vor der Zeit von Beethoven war das: Als Heinrich sein Theaterchen 1774 eingeweihte, war der künftige Töne-Titan erst vier Jahre alt. Und doch passt dessen Musik perfekt hierher. Schönheit, Eleganz und Ebenmaß der Formen prägen seine Partituren ebenso wie den königlich-preußischen Landsitz. Für das Überraschende, unerwartet aus der Konvention ausbrechende, das Beethovens Werke so spannend macht, sorgt in Rheinsberg die Natur (Oper und Konzerte bis 28. August. Infos zum Programm unter: www.kammeroper-schloss-rheinsberg.de).
Die greift hier gerne ins Geschehen ein, so auch am Eröffnungswochenende des Kammeroper-Festivals: Kaum haben die jungen Leute von der Karajan-Akademie mit Beethovens Septett begonnen, fallen die ersten Tropfen. Gegen jede Wettervorhersage, die für den Abend eigentlich beste Freiluftkonzertbedingungen prognostiziert hatte.
Aber die Regenfront, die zuvor bereits über das Ruppiner Land hätte hinweggezogen sein sollen, lässt sich extra lange Zeit, schickt aus der Ferne Donnergrollengrüße, während die Besucher dem Eröffnungsstück lauschen, auf Bierbänken, die rund um den Salon aufgestellt sind. Unter diesem Namen firmiert ein nach allen vier Seiten offener Rundbau im Zentrum der Gartenanlage.
Steinerne Allegorien der vier Jahreszeiten stehen auf der Rasenfläche, die Baumkronen werfen zunächst noch schöne, lange Nachmittagsschatten. Im Scherzo geht es los, zum Finale hat es sich eingeregnet. Hart erwischt es eine Viertelstunde später das Trio, das in der Egeriagrotte zur Serenade bittet: Das Wasser rauscht nun nicht nur im Seerosenteich unterhalb der Quellnymphen-Statue, sondern auch mächtig von oben. Das Publikum hält ebenso tapfer durch wie die Musiker:innen, die Mücken dagegen beflügelt meteorologische Unbill, sie laufen zu blutsaugerischer Hochform auf.
Geige, Bratsche und Cello, dazu Himmels-Percussion, Paukenschläge des Gewitters, das Getrommel auf dem Blätterdach – mit ein wenig gutem Willen wird ein neues, feuchtfröhliches Hörerlebnis daraus. Ludwig van Beathoven. Und die ganze Chose ist zum Glück nicht von Dauer. Schließlich tropft es nur noch aus den Zweigen, und wer bis zum Obelisken weitergewandert ist, der wird mit einem tollen Blick auf Rheinsberg belohnt. Da leuchtet die Schlossfassade pastellfarben, daneben dümpeln Ausflugsboote an Stegen, und über allem breitet sich der Abendhimmel aus, in dramatischen Hell- Dunkel-Kontrasten, als hätte ein Landschaftsmaler Lichtregie geführt.
Ein Kuckuck ruft ausdauernd aus dem Wald, drüben, am anderen Ufer, singen sich die Chorist:innen vom Vokalsystem Berlin ein, die später ihren Auftritt im Schlosshof haben. Jetzt ist aber erst einmal noch eine Oktett-Besetzung dran, wieder im Salon. Wer sich etwas weiter abseits hält, genießt einen schönen „Da lontano“-Effekt, lässt die Melodien aus der Ferne an sein Ohr wehen, während das Auge sich an der von Menschenhand geformten Natur erfreut, an den Hecken, Rondells, Bosketten – und der verwunschenen Gärtnerei mit dem südenglisch anmutenden Gewächshaus und den Topfpflanzen, die Spalier stehen wie Friedrichs Lange Kerls.
Horn und Klarinette sind Instrumente, die besonders gut wirken unter freiem Himmel, sehnsuchtsvoll-romantisch ist ihr Klang, zugleich aber kraftvoll genug, um akustisch weit zu tragen. Sie haben natürlich auch Hauptrollen in der „Pastorale“, Beethovens sechster Sinfonie, die vom Ausflug eines Großstädters in die Provinz erzählt. Die Satzbezeichnungen sind auf Deutsch verfasst und bilden ab, was die Besucher:innen dieses Abends bewegt: vom „Erwachen heiterer Gefühle bei der Ankunft auf dem Lande“ bis zu der Dankbarkeit nach dem Sturm.
Pierre Dumoussaud dirigiert die Karajan-Akademie mit Verve. Weit ausschwingend sind seine Armbewegungen, und die Stipendiaten der Philharmoniker, die als Trainees von den Profis auf die Herausforderungen des Orchesteralltags vorbereitet werden, aber eben auch eigene Projekte realisieren, lassen sich vom französischen Maestro mitreißen. Besonders nachdrücklich bleiben die betörenden Holzbläsersoli in Erinnerung, und die Intensität der Cellogruppe.
Im Schlosshof wird die „Pastorale“ von aufgeregten Schwalben umschwirrt. Denen die Geigen dann sogar antworten, mit ihren Trillern am Beginn des zweiten Satzes – als hätte Beethoven dieses Aufeinandertreffen von Orchester und Vogelschwarm vorausgeahnt.
Nach Einbruch der Dunkelheit folgt ein zweites, begeistert bejubeltes Konzert, mit der Romanze für Violine und Orchester sowie drei Chorwerken, bevor der Pianist Alexander Krichel um 23 Uhr die Mondscheinsonate spielt, über den Wassern schwebend: Sein Flügel steht dabei auf einem Ponton, zu dem er per Boot gebracht wird, das Publikum lauscht ergriffen am Ufer.