Duell der Temperamente
Am Anfang ist es wie bei den zwei Königskindern: „sie konnten zusammen nicht kommen”. Dirigent Juraj Valcuha drängt in Mendelssohns Violinkonzert feurig vorwärts, sein Solist Julian Rachlin aber bremst beharrlich, will das Stück behutsam angehen, ja bedächtig. Da ist es während der Probenzeit wohl nicht gelungen, sich auf eine Interpretation zu einigen. Rachlin spielt also introvertiert, zelebriert die zarten, leisen Momente – als würde es sich um ein Solostück handeln, bei dem unglücklicherweise ein Orchester dabei ist. Und Juraj Valcuha verhält sich höflich, dämpft das Konzerthausorchester so weit ab, dass der äußerst schlanke, mattsilbrige Ton des Geiger hörbar bleibt, dreht aber sofort akustisch auf, wenn die Solostimme mal pausiert.
Beide Ansätze sind in sich stimmig, man kann diesen Repertoirehit eben kammermusikalisch deuten oder auch in hellstes, südliches Licht tauchen. Julian Rachlin singt innig auf seiner Violine, klingt süß, ohne je zuckrig zu werden. Im langsamen Satz stimmt die Balance zwischen dem Solisten und seinen Begleitern, kaum aber hat das eigentlich so vitale Finale begonnen, wirkt es aber wieder, als sei das Orchester auf Hausschuhen unterwegs.
Genauso will man Live-Klassik erleben
In Tschaikowskys 5. Sinfonie können der Dirigent und das Konzerthausorchester endlich befreit aufspielen – und sie geben dem Publikum, was es in den Lockdowns bitter vermisst hat: ein Livemusikerlebnis, bei dem man förmlich von den Klangwellen umbrandet wird. Das Konzerthausorchester klingt fantastisch, russische Romantik erglüht in den typischen dunklen Tschaikowsky-Farben, intensiv ist die innere Spannung, pochende Leidenschaft steigert sich immer wieder zu gleißenden Fortissimo-Höhepunkten.
Doch Valcuha behält auch im hitzigsten Geschehen die Kontrolle, koordiniert die Dramatik als Dramaturg. Zum zweiten Satz legt der den Taktstock beiseite, modelliert die Musik mit den Händen, leitet dann höchst elegant zum schwelgerischen Walzer über. Dann greift er wieder zum Dirigierstab, um im Finale eine grandiose Tiefenstaffelung hinzubekommen, bei der jede Stimme klar erkennbar bleibt und sich alles doch zum grandiosen Ganzen fügt: sinfonischer Hexenkessel, großer Jubel.