Diese Party ist ein Aufstand
Der Tanz im August läuft in diesem Sommer zur alten Form auf und präsentiert wieder Choreografen und Choreografinnen aus aller Welt. Bei der Eröffnung im Haus der Berliner Festspiele herrschte eine aufgekratzte Stimmung. Die globale Tanzszene trifft sich in den nächsten drei Wochen in Berlin – und alle sind glücklich, wieder zusammenkommen zu können.
Als die künstlerische Leiterin Virve Sutinen die Bühne betritt, brandet Applaus auf. Neun Jahre lang hat sie mit Engagement und Enthusiasmus amtiert – dies ist ihre letzte Ausgabe. Ihr Ziel sei es gewesen, ein breites Spektrum an Ästhetiken zu zeigen und unterschiedliche Publikumsschichten zu erreichen, sagt sie und verspricht selbstironisch: „Wir haben drei Wochen Zeit, Lebewohl zu sagen, danach seid ihr froh, dass ihr mich los seid.“
Brücken bauen
Ein Fokus des Festivals liegt auf Künstler:innen mit indigenem Hintergrund. Zum Auftakt zeigte die australische Tanzkompanie Marrugeku mit „Jurrungu Ngan-ga / Straight Talk“ eine hochpolitische und emotional aufgeladene Produktion. Die Gruppe, die von der indigenen Choreografin Dalisa Pigram und der Dramaturgin Rachael Swain geleitet wird, ist im westaustralischen Broome und in Sydney ansässig. Die beiden arbeiten seit 27 Jahren zusammen und versuchen, Brücken zu bauen zwischen indigenen und nicht-indigenen Künstler:innen.
„Jurrungu Ngan-ga“ ist Yawuru und bedeutet so viel wie „Klare Ansage“. Das Stück setzt sich mit dem australischen Justizsystem auseinander, zieht eine Verbindung zwischen der skandalös hohen Zahl indigener Häftlinge und der unbefristeten Inhaftierung von Asylsuchenden. Pigram wurde durch Gespräche mit ihrem Großvater Patrick Dodsen, einem der einflussreichsten Aborigines-Anführer, aufs Thema aufmerksam. Das Justizsystem, sagt er, „saugt uns an wie ein Staubsauger und wirft uns wie Abfall in die Haftanstalten.“
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Das Stück beginnt mit einem Solo des indigenen Tänzers Emmanuel James Brown. Ein Mann mit einem kräftigen Körper, der sich ungemein behende bewegt. Mit weit ausgreifenden Bewegungen durchmisst er den Bühnenraum. Anfangs sieht es aus, als ob er einen Bogen spannt. Doch wenn er tanzt, hat es den Anschein, dass er mit der Natur kommuniziert.
Panikattacke in der Zelle
Die zweite Szene zeigt einen Häftling, der in die Überwachungskamera blickt. In seiner Zelle kann er nur wenig Schritte tun, er läuft hin und her und wird immer wütender. Im Off sind die Stimmen der Gefängniswärter zu hören, die ihn beschimpfen und drohen, ihn ruhigzustellen. Der Mann gerät in Panik. „Ich kriege keine Luft mehr“, schreit er.
Der Sound evoziert die beklemmende Atmosphäre des Gefängnisses. Wenn alle neun Performer:innen auftreten, wirken sie zunächst wie eingesperrt in ihren Körpern. Einen furiosen Auftritt hat Bhenji Ra, die als Transfrau eine wandelnde Provokation ist. „Ihr seid besessen von meinem Körper“, ruft sie den unsichtbaren Wärtern zu, während sie sich betont aufreizend bewegt. „Wovor habt ihr Angst?“
[Noch einmal am 7. August (17 Uhr) im Haus der Berliner Festspiele]
Um diese tief sitzende Angst vor dem Anderen geht es im Stück. Bhenji Ra ist es auch, die ihre Mithäftlinge zum Gedenken aufruft an die Menschen, die in Polizeigewahrsam gestorben sind. Hier wird Klartext geredet, es fallen die Namen genannt von indigenen Jugendlichen, die wegen einer Bagatelle eingesperrt wurden oder sich umgebracht haben. Und von Flüchtlingen, die im Internierungslager auf Manus Island ums Leben kamen.
Die kollektiven Tanzszenen sind von roher Energie. Krump und Breakdance treffen auf Voguing, der Kreistanz Dabke aus dem Mittleren Osten wird zitiert, auch indigene Einflüsse sind zu sehen. Tanz als Selbstbehauptung und Feier von Vielfalt. Ein so diverses Ensemble sieht man selten auf Berliner Bühnen. Sie tanzen mit heißem Herzen und haben ein dringliches Anliegen. „Jurrungu Ngan-ga“ ist eine Tour de Force, ein Aufstand der Körper.