Die Mitgliederversammlung zeigt, wie tief die Gräben sind
Lars Windhorst kommt nicht weit. Als er anfängt zu reden, schallen ihm Pfiffe und Buhrufe entgegen. „Windhorst raus!“, rufen die Ultras von Hertha BSC, die sich en bloc auf der – vom Podium aus gesehenen – rechten Flanke postiert haben. In der zehnten Reihe steigen zwei junge Männer auf ihre Stühle und halten ein Banner mit Windhorsts Konterfei in die Höhe. Sein Gesicht ist mit einem blauen Balken durchgestrichen.
Spätestens jetzt geht es in der Messehalle 20 zu wie in der Fankurve. Beleidigungen und Verwünschungen fliegen durch den Saal. Die einen möchten Windhorst und seine Ausführungen hören, die anderen wollen ihn zum Schweigen bringen. Und für einen Moment sieht es so aus, als würde der Investor von Hertha BSC tatsächlich nicht zu Wort kommen.
Dreimal setzt er an, dreimal schwillt der Unmut so sehr an, dass Windhorst gleich wieder aufhört. Dirk Lentfer, der Versammlungsleiter, erteilt den Ultras einen Ordnungsruf. „Ihr Jungs, da rechts“, sagt Windhorst, „ihr habt doch an dem Applaus gemerkt, dass ihr in der Minderheit seid.”
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Sechs Stunden läuft die Mitgliederversammlung von Hertha BSC zu diesem Zeitpunkt schon, als Windhorst, weißes Hemd mit offenem Kragen und Hertha- Fahne am Revers, bei Tagesordnungspunkt 11 (Aussprache) ans Rednerpult tritt. Spätestens jetzt wird auch dem Letzten klar: Hertha, gerade dem Abstiegskampf in der Fußball-Bundesliga erfolgreich entronnen, ist immer noch – oder mehr denn je – ein Verein im Aufruhr. Es grummelt gewaltig.
Als Thorsten Manske, der Vizepräsident des Vereins, am Vormittag die Veranstaltung eröffnet und ihr aus Versehen einen „respektlosen Verlauf“ wünscht, zeigt das ziemlich gut, wie die Erwartungen sind. Es wird geschimpft und gemeckert, gepfiffen und gebuht. Versammlungsleiter Lentfer muss die 2810 Mitglieder zwischendurch sogar explizit darum bitten, „dass wir eine Form wahren, die uns alle das Gesicht belässt“.
Die Versammlung ist ein Spiegelbild der Stimmung im Staate Hertha. Selbst wenn der Abstieg auf den letzten Drücker verhindert worden und Werner Gegenbauer, Präsident und Reizfigur, seiner Abwahl durch Rücktritt wohl zuvorgekommen ist: Zündstoff gibt es weiterhin genügend.
Das gesamte Präsidium steht an diesem Sonntag zur Disposition – und damit auch die Handlungsfähigkeit des Klubs. Sollten sämtliche sechs Präsidiumsmitglieder abgewählt werden, so käme das „einem Supergau gleich“, sagt Vizepräsident Manske, der nach Gegenbauers Rücktritt kommissarisch die Geschäfte führt. Im Zweifel müsste das Amtsgericht Charlottenburg einen Notvorstand bestimmen.
Dazu kommt es nicht. Am Ende erwischt es nur Manske selbst. 64,2 Prozent der anwesenden Mitglieder stimmen für seine Abwahl. Das liegt zwar unter dem vorgeschriebenen Quorum von 75 Prozent, doch Manske kommt gar nicht umhin, Konsequenzen aus diesem Votum zu ziehen. „Pfui!“, ertönt es aus dem Saal, als das Ergebnis verkündet wird. „Verschwinde!“
Manske will etwas sagen, wird niedergebrüllt und erklärt schließlich seinen sofortigen Rücktritt. „Für mich endet hier ein langer Weg“, sagt er. Manske, seit 2012 Vizepräsident, verabschiedet sich von den anderen Vertretern auf dem Podium, packt seine Sachen zusammen und steigt in die Ebene hinab.
Bei einer außerordentlichen Mitgliederversammlung am 26. Juni werden die Nachfolger von Gegenbauer und Manske gewählt. Die anderen Präsidiumsmitglieder bleiben im Amt, die einen mehr, die anderen weniger stark beschädigt. Zwischen 17,7 Prozent (Anne Jüngermann) und 49,7 Prozent (Norbert Sauer) stimmen für die Abwahl. Der bisherige Aufsichtsrat wird hingegen im Amt bestätigt. Nur für Bernd Schiphorst, der nicht mehr kandidiert, rückt Renate Döhmer nach, die viele Jahre Mitglied des Präsidiums war.
Wer künftig an dessen Spitze stehen wird, das wird in den nächsten Tagen und Wochen die spannende Frage sein. Bisher hat nur der frühere Ultra-Vorsänger Kay Bernstein seine Kandidatur erklärt. Ähnlich wie Manske bis zu seinem Wahldesaster am Sonntag ist auch dem Aufsichtsratschef Torsten-Jörn Klein ein mögliches Interesse am Präsidentenamt nachgesagt worden.
Sein Tätigkeitsbericht am Sonntag kann durchaus als Bewerbungsrede verstanden werden. Klein wird später tatsächlich gefragt, ob er nicht lieber Präsident werden wolle. Er habe nicht vor, sich für dieses Amt zu bewerben, antwortet der 58-Jährige.
„Windhorst raus! Das funktioniert leider faktisch nicht“
Klein hat es sehr geschickt verstanden, sich von Gegenbauer abzugrenzen. So erzählt er, dass es seit dem 11. März, seit dem Streit zwischen dem Präsidenten und Lars Windhorst, keinen Kontakt mehr mit Gegenbauer gegeben habe, weil der auf seine Anrufe nicht reagiert habe. „Ekelhaft!“, ruft jemand aus dem Auditorium. Klein fordert mit Blick auf die Streitigkeiten zwischen Vereinsführung und Investor, dass „dieser Krieg in der Öffentlichkeit unbedingt aufzuhören hat“.
Windhorst, der für 374 Millionen Euro 64,7 Prozent der Anteile an der Hertha BSC KGaA erworben hat, verteidigt bei seiner gut 20-minütigen Rede seine öffentliche Kritik an Gegenbauer. „Ich habe mir zwei Jahre wirklich auf die Zunge gebissen, mich zwei Jahre extrem zurückgehalten“, sagt er. Wenn er sich nun nicht geäußert hätte, „hätte es keine Abwahlanträge gegeben“. Und damit aus seiner Sicht nicht die Chance zum Neubeginn.
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Windhorst verteidigt auch sein Investment bei Hertha – gegen alle Kritik von außen: „Ich habe es als historische Chance gesehen, dabei zu sein“, erklärt er. Und er wolle auch noch lange, zehn, zwanzig, dreißig Jahre, dabei bleiben, könne sich sogar vorstellen, weiteres Kapital zur Verfügung zu stellen.
„Windhorst raus! Das funktioniert leider faktisch nicht“, sagt er mit Blick auf ein riesiges Banner, das draußen am Parkplatz der Messe am Zaun hängt. „Man kann mich nicht abwählen, meine Anteile stehen nicht zum Verkauf.“ Er möchte, „dass Hertha BSC extrem erfolgreich wird. Das ist mein Ziel“, erklärt Windhorst.
Es mischen sich Pfiffe und Applaus. Als Windhorst von der Bühne geht, hebt er die Arme über den Kopf, greift mit den Händen ineinander und winkt wie jemand in die Menge, der gerade bei einer wichtigen Wahl ein triumphales Ergebnis erzielt hat. Zum Schluss reckt er die Faust in die Höhe. Im Plenum sind viele Mitglieder aufgestanden und applaudieren. Der Kampf geht weiter.